Ein Zwischenruf mit 65
Es ist eigenartig mit der Zeit. Man merkt erst, dass sie vergeht, wenn einem die Jüngeren das Du anbieten und die Älteren verschwinden, ohne sich zu verabschieden. Manchmal glaube ich, dass die Jahre nicht an mir vorbeigezogen sind, sondern durch mich hindurch. Sie haben Furchen hinterlassen, keine tiefen – aber ehrliche.
Nun bin ich also 65. Kein Alter, das sich leicht fassen lässt. Zu jung fürs Vergessen, zu alt für die Ausrede des Anfangs. Ich schreibe dies nicht, um zu bilanzieren. Schon gar nicht, um abzurechnen. Eher, um innezuhalten.
Ich stehe am Rande einer Laufstrecke, irgendwo zwischen Mozart und Marathon, und denke nach – über 42 Jahre Beruf, ein Dutzend Lebensabschnitte, unzählige Begegnungen. Über Marathon in Wien und die Lauffestspiele in Salzburg, die inzwischen mehr sind als ein Sportereignis – sie sind ein Abbild dessen, was mir wichtig war: Bewegung, Gemeinschaft, Musik. Und Hoffnung. Denn wer läuft, gibt dem Leben einen Takt, auch wenn die Füße manchmal schwer sind.
Und wir überwinden dabei Grenzen. Für mich waren sie nie bloß Linien auf einer Karte. Selbst an einem schier unüberwindbaren (Eisernen) Vorhang aufgewachsen, erkannte ich sie als Mauern im Kopf oder Schranken im Herzen. Und doch – ein Leben, das nicht gegen Grenzen anläuft, ist keines, das in die Tiefe geht. In mir war immer dieses Drängen: den Körper herausfordern, weil der Geist sonst schweigt; das Trennende benennen, weil das Verbindende sonst zur Floskel verkommt. Ob es um Herkunft ging oder Geschlecht, um Glaube oder Sprache – ich habe gelernt, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Zuschreibungen. Und dass das Überschreiten nicht immer ein Aufbruch ist – manchmal ist es bloß der schlichte Akt, Mensch zu bleiben.
Mit RunUp haben wir eine Stimme geschaffen – für jene, die sonst nur Schritte machen. Eine Plattform, ein Spiegel, ein Impulsgeber. Und wenn ich heute die Seiten durchblättere, höre ich darin auch mein eigenes Herz schlagen. Es schlägt im Rhythmus der Geschichten, die wir gesammelt haben. Vom ersten Lauf bis zum letzten Satz.
Seit über vierzig Jahren bin ich Trainer und ich bin es immer noch sehr gerne. Ich weiß, wie ein Blick mehr sagen kann als ein Messwert. Wie Talent manchmal nur wartet, bis jemand es ernst nimmt. Ich durfte mit Spitzenathlet*innen arbeiten, mit jenen, die Siege erringen und Rekorde aufstellen. Aber auch mit jenen, die sich selbst besiegen. Die am Sonntagmorgen laufen, um am Montag nicht unterzugehen. Was mich diese Jahrzehnte gelehrt haben? Dass man ein guter Trainer nur sein kann, wenn man zuhört. Wenn man mehr sieht als nur die Lauftechnik. Und dass man nicht aufhören darf, selbst zu lernen.
Meine Söhne übernehmen bald das Ruder. Ich hoffe, Lukas und Markus steuern klüger, moderner – aber nicht weniger leidenschaftlich. Denn Leidenschaft war immer mein Motor. Nicht Geld. Nicht Ehre. Vielleicht ein bisschen Eigensinn. Das ging nur in einem privaten Umfeld wie bei meiner Familie, wobei Ruth diesen Weg mitging und immer noch geht.
Was bleibt also mit 65? Die Dankbarkeit. Und das Staunen. Darüber, dass man selbst nach so vielen Jahren immer noch glaubt, etwas bewegen zu können. Vielleicht ist das das größte Glück: Nicht stehenzubleiben. Auch innerlich nicht.
Ich wünsche mir, dass meine nächsten Schritte noch bewusster werden – beschwingt, locker und frei. Ich werde nicht aufhören, unterwegs zu sein. Vielleicht nicht mehr in der ersten Reihe. Aber mit offenen Augen. Und mit der Zuversicht, noch den einen oder anderen SportImPuls bei Menschen auszulösen. Selbst laufend, lauschend, lebend – mit der Zuversicht, dass das Leben kein Sprint ist, sondern ein gut geplanter, intensiv durchlebter LANGER Lauf – LANGER Atem inklusive.
Georg Danzer [1984]:
Ich träumte von weißen Pferden
Wilden weißen Pferden an einem Strand
Mein Lehrer war ein Vogel
Brachte mir das Fliegen bei
Aber sag mir woran
Woran meine Liebe glauben wir noch
Woran meine Liebe glauben wir noch, …