Halbmarathonläufer wollen bei Straßenlauf-WM vom dichten Feld profitieren
Am Sonntag geht in Riga die erste Straßenlauf-WM der Geschichte über die Bühne. Österreichs Halbmarathonläufer Julia Mayer, Andreas Vojta und Peter Herzog hoffen auf einen günstigen Rennverlauf im dichten, internationalen Feld. Neben dem Halbmarathon sind erstmals eine Straßenmeile und ein 5km-Lauf im Programm. Über 5km gibt Kevin Kamenschak sein Debüt bei globalen Titelkämpfen.

Julia Mayer beim WM-Marathon in Budapest 2023. © ÖLV / Giancarlo Colombo
Fünf Wochen nach ihrer WM-Premiere tritt Julia Mayer (DSG Wien) zum zweiten Mal bei Weltmeisterschaften an. Trotz des recht kurzen Abstandes zwischen den beiden WM-Rennen reist die Niederösterreicherin mit frischen Beinen in die lettische Hauptstadt. Die Regeneration nach dem zweiten Marathon ihrer Karriere (jenen 2020 im Prater ausgeklammert, Anm.) gelang nämlich viel geschmeidiger und schneller als nach ihrem ersten im Frühjahr in Wien, weswegen sie recht bald nach Budapest schon den nächsten Marathon-Traininingszyklus eröffnen konnte. „Im Training fühlt sich alles sehr gut an, auch die beiden spezifischen Einheiten im Halbmarathon-Tempo sind sehr gelungen“, blickt die 30-Jährige optimistisch in Richtung Wochenende. Immer im Wissen, dass sie aufgrund des Zeitpunkts im Trainingszyklus nicht in Topform sein kann. „Für den Kopf wären ein paar mehr Einheiten in der Halbmarathon-Geschwindigkeit besser gewesen“, gibt die von Vincent Vermeulen trainierte ÖLV-Rekordhalterin zu. „Aber wir sind mitten im Marathon-Training, denn das wichtige Ziel kommt im Dezember beim Valencia Marathon und nicht am Sonntag.“
Das heißt aber nicht, dass sich am Sonntag nicht eine interessante Bühne für eine gute Leistung bietet. „Erstens will ich immer bestmöglich abschneiden, wenn ich bei einem Wettkampf antrete und zweitens fühle ich mich nach den vier Wochen Training fit.“ Helfen soll die Dichte im Leistungsbereich von 1:10 und 1:11 Stunden mit einigen ambitionierten europäischen, amerikanischen, ozeanischen und afrikanischen Kolleginnen und genau an dieser Zeitspanne will sich die Österreicherin orientieren. „Mein voller Fokus gilt der Zeit, nicht der Platzierung. Es gilt, gleich zu Beginn die richtige Gruppe zu erwischen.“ Dann stehe, wenn sich der Wind zurückhält, einem schnellen Rennen nichts im Wege, denn die Strecke ist abgesehen von zwei Brücken flach und die Atmosphäre erwartet sich Mayer WM-würdig. „Dadurch, dass auch Bewerbe für Freizeitläufer im WM-Programm inkludiert sind, sind erstens fachkundige Leute vor Ort und zweitens ist das auch für die Stadtbevölkerung in Riga spannend, wenn bekannte Gesichter auf der Laufstrecke sind“, so Mayer, vor wenigen Tagen neuerlich als Wiens Sportlerin des Jahres ausgezeichnet.
Höheres Level als vor Kopenhagen
Auch für Andreas Vojta (team2012.at) mag die Halbmarathon-WM nicht der Höhepunkt seines Laufherbst sein, der Fokus liegt voll und ganz auf dem Frankfurt Marathon am 29. Oktober. Doch das Timing für einen schnellen Halbmarathon vier Wochen vor dem Marathon-Ziel befindet der 34-Jährige in Abstimmung mit seinem Trainer Wilhelm Lilge als gut und möchte in Riga eine neue persönliche Bestleistung aufstellen. „Ich laufe voll im Halbmarathon-Wettkampftempo und nehme viel Zuversicht aus den letzten Trainingseinheiten. Ich habe das Gefühl, auf einem höheren Level als vor dem Kopenhagen Halbmarathon zu sein“, sagt der Gerasdorfer. Gewisse Kilometersplits im Training zu laufen und halten sei mit weniger Mühe verbunden als noch for einigen Wochen.
Dazu kommt die Vorfreude auf seine erste Halbmarathon-WM. „Ich habe mir bei den letzten Austragungen immer gedacht, eine Halbmarathon-WM ist ein super Umfeld“, erzählt er. Bisher haben weder Wettkampfplanung noch Trainingslager einen Start zugelassen, jetzt ist das Timing perfekt. „Ich habe ein gutes Gefühl, weil das Starterfeld in dem für mich interessanten Leistungsbereich enorm dicht ist.“ Diese Dichte, die schon in der Weltklasse mit Bestleistungen unter einer Stunde beginnt, ist auch Grund dafür, dass eine vordere Platzierung selbst bei Bestleistung unrealistisch ist. „Daher achte ich nur auf die Zeit!“, kündigt Vojta an.
Herzog muss kleinere Brötchen backen
Wie motivierend das dichte Feld bei einer Halbmarathon-WM sein kann, kennt Peter Herzog (Union Salzburg LA) aus eigener Erfahrung. 2018 bei den Weltmeisterschaften von Valencia kam er als recht unbekannter Athlet hin und verbesserte sich deutlich auf eine Zeit von 1:03:22 Stunden (brutto). „Eine Zeit, die ich in Wahrheit nie mehr wirklich verbessert habe“, hadert der Salzburger, der den Halbmarathon bei Kärnten Läuft 2019 als seine bisher stärkste Halbmarathon-Leistung definiert, auch wenn sie es im direkten Zeitenvergleich nicht ist.
„Man kann in diesen Rennen richtig Vollgas geben, weil es alle tun!“, betont er. Seine gesundheitlichen Schwierigkeiten im Sommer mit hartnäckigen physischen Problemen, die von einer Schleimbeutelentzündung ausgingen, zwingen ihn jedoch, kleine Brötchen zu packen. „Ich würde allzu gerne in der Dimension von 61 Minuten denken, aber momentan ist das nicht möglich“, versteckt der Pinzgauer eine leichte Resignation nicht. Zwar laufe es Schritt für Schritt etwas besser, „aber ich kann nach wie vor nicht das Training umsetzen, das ich gewohnt bin.“ Und damit auch nicht den Ambitionen früherer Jahre nachjagen. Vielleicht, lässt sich Herzog entlocken, verleiht ein unter diesen Rahmenbedingungen guter Wettkampf in Riga neuen Schwung für den restlichen Laufherbst.
Das Programm der WM-Rennen am 1. Oktober (MEZ)
- 10:50 Uhr – 5km-Straßenlauf der Frauen
- 11:15 Uhr – 5km-Straßenlauf der Männer (mit Kevin Kamenschak)
- 12:00 Uhr – Straßenmeile der Frauen
- 12:10 Uhr – Straßenmeile der Männer
- 12:30 Uhr – Halbmarathon der Frauen (mit Julia Mayer)
- 13:15 Uhr – Halbmarathon der Männer (mit Andreas Vojta und Peter Herzog)
Titelverteidiger fällt aus
107 Läufer aus 42 Nationen und 81 Läuferinnen aus 35 Nationen stehen auf den Startlisten. Aufgrund des intensiven Laufherbsts ist bei weitem nicht die komplette Langstrecken-Weltklasse in Riga dabei, auch viele Europäerinnen und Europäer fehlen, da der Traum von den Olympischen Spielen von Paris 2024 mit hohen Anforderungen bei den Limits und in der Weltrangliste verbunden ist und daher oft mit dem Fokus auf einen schnellen Herbstmarathon harmoniert. Der vermeintlich klare Topfavorit bei den Männern, Titelverteidiger Jacob Kiplimo, hat kurzfristig seinen Start abgesagt und verpasst damit nach Budapest die nächsten globalen Titelkämpfe.
Das äthiopische Team wird von Jemal Yimer, etliche Jahre lang äthiopischer Halbmarathon-Rekordhalter, angeführt. Im starken kenianischen Team gehen drei der folgenden Athleten, Charles Langat, Benard Kibet, Sebastian Kimaru und Daniel Ebenyo, an den Start. Spannend wird auch der Auftritt des besten Europäers auf der Startliste, Jimmy Gressier aus Frankreich, der heuer erstmals unter einer Stunde gelaufen ist. Genauso interessant ist der Auftritt des deutschen Marathon-Europameisters Richard Ringer, zuletzt im Duell mit dem ebenfalls am Start stehenden Aaron Bienenfeld nationaler Meister über 10km. Das japanische Team führt Tomoki Ota an, der bei einer Bestleistung von 1:00:08 Stunden hält.
Jepchirchir visiert dritten Titel an
Im Rennen der Frauen ist Marathon-Olympiasiegerin Peres Jepchirchir der große Name. Die Kenianerin, die am Mittwoch ihren 30. Geburtstag feierte, ist in der Rolle der Titelverteidigerin und könnte mit dem insgesamt dritten Titel zu den Rekordsiegerinnen Tegla Loroupe, Paula Radcliffe und Lornah Kiplagat aufschließen. Die Konkurrenz kommt mit Irine Kimais, WM-Vierte im 10.000m-Lauf und Schnellste laut Meldeliste, Catherine Relin und Margaret Kipkemboi aus dem eigenen Lager sowie vom äthiopischen Team, das von Ftaw Zeray und Crosslauf-WM-Medaillengewinnerin Tsigie Gebreselama angeführt wird. Die beste Europäerin im Feld laut Saisonbestleistungen ist die Britin Samantha Harrison. Gegenüber „Athletics Weekly“ meinte die 28-Jährige, ihr Training seit gut verlaufen und sie träume von einem Top-Ten-Platz. Eine interessante Rolle sollten die beiden Deutschen Konstanze Klosterhalfen, die im Halbmarathon bereits unter 1:06 Stunden gelaufen ist, aber mit gesundheitlichen Problemen auf eine schwierige Saison 2023 zurücblickt, und Alina Reh, die ihr Marathon-Debüt in Valencia vorbereitet, spielen.
Kamenschak topmotiviert zur WM
Weil Sebastian Frey (DSG Wien) kurzfristig in Absprache mit seinem Trainer Thomas Dreißigacker den Start in Riga abgesagt hat, weil die Vorbereitung nicht ganz nach Plan lief, ist Kevin Kamenschak (ATSV Linz LA) der einzige rot-weiß-rote Teilnehmer im 5km-Lauf. Wenngleich er auf dieser Distanz auf der Straße keine verlässlichen Vergleichsparameter aus Wettkämpfen aufweisen kann, hat der selbstbewusste, junge Linzer den ÖLV-Rekord von Andreas Vojta zumindest im Hinterkopf (13:48). Legitimiert ist das durch eine starke Wettkampfsaison mit zwei Junioren-EM-Medaillen, darunter die Bronzene über 5.000m, sowie eine 5.000m-Bestleistung von 13:40,82 Minuten im Juni in Wien. „Die Vorbereitung ist sehr gut verlaufen. Ich bin sogar von meinen Trainingsleistungen her sogar besser drauf als bei meiner 5.000m-Bestleistung. Das möchte ich im Wettkampf natürlich gerne entsprechend umsetzen und bin gespannt, was rauskommt“, sagt der 19-Jährige. Mit dem in Kürze zu Ende gehenden Junioren-Alter bietet die WM die erste Gelegenheit, auf großer globaler Ebene in die Allgemeine Klasse zu schnuppern.
Das wird sicherlich eine erfahrungsreiche Gelegenheit, denn angeführt von Weltrekordhalter Berihu Aregawi und dessen äthiopischen Landsmann Yomif Kejelcha ist das Feld an der Spitze gut besetzt. Auch die Kenianer haben mit Nicholas Kipkorir und Stanley Waithaka zwei heiße Medaillenkandidaten im Rennen. Während der australische Mittelstreckenläufer Stewart McSweyn oder der kanadische Rekordhalter Ben Flanagan dabei sind, fehlen die Top-Europäer nach der langen Bahnsaison. Das ist bei den Frauen ähnlich, wo an der Spitze mit Weltrekordhalterin Ejgayehu Taye aus Äthiopien und Beatrice Chebet aus Kenia ein spannendes Duell um Gold zu erwarten ist. Die stärkste Europäerin im Feld ist die Italienerin Nadia Battocletti, auch die Japanerin Nozomi Tanaka hofft auf Spitzenplätze.
Faith Kipyegon greift nach nächstem Titel
Das neueste Event, zumindest für einige Teile der Welt wirklich ungewohnt, ist die Straßenmeile. Für diese Disziplin führt der Leichtathletik-Weltverband seit kurzem Weltrekorde, die US-Meister Sam Prakel und Nikki Hiltz sind die ersten Weltrekordhalter. Bei den Männern ist mit dem amtierenden Junioren-Weltmeister Reynold Cheruiyot ein Weltklasse-Mittelstreckenläufer im 37 Athleten umfassenden Feld dabei, Prakel gehört zu den Medaillenkandidaten. Bei den Frauen wagt Nozomi Tanaka den Doppelstart, klare Favoritin ist aber die dreifache Weltrekordläuferin des Jahres, Faith Kipyegon. Dem kenianischen Team mit Nelly Chepchirchir, Nummer zwei Kenias auf den 1.500m, und Hindernislauf-Weltrekordhalterin Beatrice Chepkoech, stellt sich ein starkes und junges äthiopisches Team mit Freweyni Hailu, Hirut Meshesha und Diribe Welteji, Vize-Weltmeisterin hinter Kipyegon über 1.500m, entgegen. Die Präsenz der Australierin Jessica Hull sowie der starken Amerikanerin Addison Wiley macht dieses Rennen zu einem der bestbesetzten der Titelkämpfe. Ein neuer Weltrekord ist in dieser Disziplin wohl wahrscheinlich.
Insgesamt stehen 347 Athletinnen und Athleten aus 57 Nationen auf der finalen Entry-List für die erste Straßenlauf-WM der Geschichte. Ergänzt werden sie durch Tausende Hobbyläuferinnen und Hobbyläufer. „Erstmals haben wir ein Event, das den Straßenlauf in all seinen Facetten zelebriert – von der Elite über ambitionierte Freizeitläufer und Laufeinsteiger bis hin zu den laufenden Kids. Die WM wird die ganze Schönheit des Laufens zeigen und auf alle inspirierend wirken, die das Laufen zu einem Teil ihres Lebens machen möchten“, sagt Sebastian Coe, Präsident von World Athletics.
Riga – eine Laufstadt
Riga mag auf den ersten Blick als exotische Destination für Titelkämpfe in der Leichtathletik wirken, doch der Riga Marathon begeisterte vor der Pandemie bis zu 38.000 Menschen, alle Bewerbe summiert. Dennoch ist das kleine baltische Land, in dem besonders Eishockey und Basketball große Beliebtheit nachweisen, keine erfolgreiche Leichtathletik-Nation, mit Jelena Prokupcuka hat Lettland aber eine Marathon-Legende, die den Laufsport im kleinen Land im Baltikum beliebter gemacht hat. Außerdem stammt aus Lettland eines der spannendsten Lauftalente Europas, unglücklicherweise muss die 19-jährige Agate Caune verletzungsbedingt ihr Heimspiel aus der Zuschauerrolle beobachten.
In der Vorbereitung der Straßenlauf-WM wurde das lokale Organisationskomitee öfters von Seiten des Weltverbandes gelobt. Besonders wichtig war dem Veranstalter auch die Integration von Massenstarts für Hobbyläufer, die er gleichzeitig auch als große Herausforderung sah. „Viele mögen denken, das ist nichts für mich, schließlich sind es Weltmeisterschaften. Wir wollen, dass diese Leute realisieren, dass jede und jeder bei diesen Weltmeisterschaften teilnehmen kann, europaweit und noch weiter. Wir wollen zu verstehen geben: Hey, ich kann bei einer WM teilnehmen!“, sagte OK-Chef Aigars Nords, auch Veranstaltungschef des Riga Marathon, im vergangenen Jahr.