Eine Handvoll Berlin-Siege für Kipchoge

Eliud Kipchoge hat am gestrigen Sonntag zum fünften Mal den Berlin Marathon gewonnen und ist damit der Rekordsieger beim bedeutendsten Marathon in Kontinentaleuropa. Mit seiner Leistung von 2:02:42 Stunden brachte er sich nach der Boston-Enttäuschung zurück ins Gespräch in der Weltklasse und schaffte den ersehnten Schritt Richtung Paris 2024. Aufs Stockerl begleiteten den Superstar zwei junge Debütanten mit historischen Premierenleistungen. In der Verfolgergruppe fielen auf beeindruckende Art und Weise die nationalen Rekorde für Deutschland und die Schweiz durch Amanal Petros und Tadesse Abraham.

© SCC Events / Jean-Marc Wiesner

Bei all den wundersamen Leistungen, die der Berlin Marathon am gestrigen Sonntag produzierte, darf eine nicht untergehen. Eliud Kipchoges Angriff auf seinen letztjährigen Weltrekord von 2:01:09 Stunden mag zwar nicht gelungen sein, doch der 38-jährige Kenianer erweiterte seine Palette an Spitzenleistungen neuerlich um eine bemerkenswerte. 2:02:42 Stunden, es ist freilich Kipchoges „nur“ fünftschnellste Zeit, aber es ist die achtschnellste der Marathon-Historie. Auch der fünfte Sieg bei einem World Marathon Major, bei den Männern einzigartig, zeigt die unheimliche Stellung des Kenianers in der Geschichte dieser Sportart. Vom 16. Sieg bei einem Marathon ganz zu schweigen, bei 19 Starts. Elf Marathon-Siege bei World Marathon Majors gesellen sich zu den beiden Olympischen Triumphen, was demonstriert: Kipchoge gewann immer auch die Rennen, wo etliche der Besten ihn forderten.

Eliud Kipchoges Halbmarathon-Splits: 1:00:22 / 1:02:20 Stunden
Eliud Kipchoges 5km-Teilzeiten: 14:12 / 14:15 / 14:19 / 14:27 / 14:35 / 14:37 / 14:45 / 14:56 / 6:36 (2,195 km) Minuten

Kipchoge dachte im Vorfeld also doch noch einmal über den Weltrekord nach, wie er auch in den Interviews nach dem Rennen festhielt. „Ich kann aber gut damit leben, dass es nicht geklappt hat.“ Drei Tempomacher plus der Äthiopier Derseh Kindie, der weit über seinem Level anlief und so zu einem inoffiziellen vierten Tempomacher wurde, organisierten eine erste Marathon-Hälfte in 1:00:22 Stunden. Nur Kipchoge selbst hat jemals schneller einen Marathon angelaufen, nämlich im Vorjahr beim Weltrekord in 59:51 Minuten. Aber die Weltrekordzeit von 2:01:09 Stunden geriet nach der ultraschnellen Anfangsphase (28:27 Minuten nach zehn Kilometern) recht bald aus der Sichtweite, weil der kenianische Superstar das hohe Tempo im dritten Viertel nicht ganz halten konnte und dann in der Schlussphase weiter reduzieren musste. Der Erfolg in einer Zeit von 2:02:42 Stunden war trotz „nur“ 31 Sekunden Vorsprung auf seinen Landsmann Vincent Kipkemoi nie in Gefahr.

RunAustria-Lesetipp: Der Bericht über den Berlin Marathon 2023 der Frauen

2:11:53 – die neue Dimension des Marathons

Kipruto ging in Schlussphase ein

Trotz der schnellen ersten Hälfte hatte Kipchoge beim Halbmarathon nur gut eine Minute Vorsprung in der ambitionierten Verfolgergruppe rund um Amos Kipruto, seinem vermeintlich schärfsten Rivalen im Kampf um den Sieg. Und diese Gruppe, der auch Kipkemboi und der am Ende drittplatzierte Tadese Takele angehörten, war zur Hälfte des Rennens mit sechs Athleten noch beachtlich bestückt. Bei Kilometer 30 war der Abstand der Verfolgergruppe zur Spitze mit 1:17 Mintuen der größte im Rennen, dann setzte Kipruto alles auf eine Karte und wagte eine Tempoverschärfung, die ihn binnen fünf Kilometer um eine halbe Minute näher an Kipchoge heranbrachte. Takele hielt einigermaßen mit, dahinter lief Kipkemoi mit ein paar Sekunden Abstand. Doch nach dem enormen Split von 14:15 Minuten zwischen Kilometer 30 und 35 blinkten beim 31-jährigen Kenianer die roten Lichter und er musste Kipkemoi und Takele ziehen lassen.

Amos Kiprutos Halbmarathon-Splits: 1:01:29 / 1:03:20 Stunden
Amos Kiprutos 5km-Teilzeiten: 14:27 / 14:31 / 14:40 / 14:39 / 14:43 / 14:42 / 14:15 / 15:09 / 7:43 (2,195 km) Minuten

Zwei fulminante Debüts

Der 24-jährige Vincent Kipkemoi, der seinen allerersten Marathon lief und zwei Halbmarathon-Leistungen von 59:09 (Kopenhagen 2022) und 59:10 (Lissabon 2023) auf seiner Visitenkarte stehen hat, absolvierte ein grandioses Debüt und finihste in einer Zeit von 2:03:13 Stunden – das ist der geteilte elfte Rang in der ewigen Bestenliste von World Athletics, zeitgleich übrigens mit Kipruto, der auf den letzten Kilometern kaum noch vorwärts kam und sich in 2:04:49 Stunden auf Rang sieben ins Ziel rettete. Den Sprung aufs Stockerl schaffte der 21-jährige Tadese Takele, ebenfalls ein Debütant, in einer Zeit von 2:03:24 Stunden. Nur zweimal lief ein Drittplatzierter eines Marathon jemals schneller, Takele ist nun die Nummer fünf der ewigen äthiopischen Bestenliste im Marathonlauf. Der Jungspunt ist recht neu im Straßenlauf und weist auch keine besondere Halbmarathon-Bestzeit auf, als Hindernisläufer war der junge Äthiopier Afrikameisterschafts- und Junioren-WM-Silbermedaillengewinner.

Hinter den Top-Drei landeten etliche Athleten, die die perfekten äußeren Bedingungen beim Marathon auf einer der schnellsten Marathonstrecken der Welt zu Bestleistungen nutzten, die meisten im Bereich von einer Minute und etwas mehr.

© SCC Events / Sebastian Wells OSTKREUZ

Amanal Petros der erste Deutsche unter 2:05 Stunden

Nie in der Geschichte des bedeutenden deutschen Marathonlaufs ist ein deutscher Läufer unter 2:10 Stunden gelaufen. Gestern waren es gleich drei, allesamt mit deutlichen persönlichen Bestleistungen. Nie in der Geschichte des Marathonlaufs ist ein deutscher Marathonläufer unter 2:06 Stunden gelaufen, nun liegt der deutsche Rekord bei einer Zeit von 2:04:58 Stunden. Beflügelt von den neuen und ultraleichten Racern von adidas verbesserte der Amanal Petros seine schnellste Marathonzeit um fast eineinhalb Minuten und hält nun die vier schnellsten Marathonleistungen der deutschen Geschichte. „Ich habe in den letzten vier Monaten so hart dafür gearbeitet. Die letzten Monate in Kenia bestanden nur als Training, Schlafen und Essen. Jeder einzelne Tag beinhaltete immer wieder das gleiche. Ich habe noch nie so hart gearbeitet“, erklärte der 28-Jährige nach dem Rennen und schwärmte von der Atmosphäre am Streckenrand. Außerdem ist der aus Eritrea stammende und seit vielen Jahren in Deutschland lebende Athlet der erst vierte europäische Läufer mit einer Marathonzeit unter 2:05 Stunden, alle haben ostafrikanische Wurzeln.

Amanal Petros’ Halbmarathon-Splits: 1:02:12 / 1:02:46 Stunden
Amanal Petros’ 5km-Teilzeiten: 14:45 / 14:42 / 14:47 / 14:47 / 14:39 / 14:36 / 14:52 / 15:05 / 6:45 (2,195 km) Minuten

Zu Petros’ Leistung gesellten sich gestern die deutliche Steigerung von fast vier Minuten von Samuel Fitwi auf eine Zeit von 2:08:28 Stunden, damit knapp unter dem ehemaligen deutschen Rekord von Arne Gabius. Und die erste Marathonzeit unter 2:10 Stunden von Hendrik Pfeiffer, 2:08:48 Stunden. Beide blieben überhalb des Olympia-Limits für Paris 2024, liegen nun auf den Rängen vier und sechs der ewigen deutschen Bestenliste im Marathon.

Tadesse Abraham neuer Masters-Weltrekordhalter

Für mit die erstaunlichste sorgte gestern der 41-jährige Schweizer Tadesse Abraham, der mit einer Zeit von 2:05:10 Stunden den Schweizer Rekord um eine vergleichbare Dimension wie bei Petros verbesserte. Der Routinier hält nun wie sein deutsches Pendant die vier schnellsten Marathon-Leistungen der Schweizer Laufgeschichte und liegt neu auf Position fünf der ewigen europäischen Bestenliste, eine Sekunde vor einem gewissen Mo Farah. Außerdem hat Abraham den Masters-Weltrekord eines gewissen Kenenisa Bekele um satte 43 Sekunden verbessert.

Tadesse Abrahams Halbmarathon-Splits: 1:02:13 / 1:02:57 Stunden
Tadesse Abrahams 5km-Teilzeiten: 14:45 / 14:43 / 14:47 / 14:47 / 14:38 / 14:45 / 15:01 / 15:12 / 6:32 (2,195 km) Minuten

Abraham lief in der großen Verfolgergruppe rund um Amanal Petros, die in einer Zeit von 1:02:12 Stunden die Zwischenzeit beim Halbmarathon überquerte. Während Petros das nun höchste Tempo des Rennens in dieser Gruppe für seinen Angriff auf die 2:05-Marke nutzen konnte, fiel der Schweizer kurz vor Kilometer 30 aus der Gruppe zurück, konnte aber als Einzelkämpfer bzw. in Kleinstgruppen weiterhin puschen. Alleine auf den letzten beiden Kilometern machte der 41-Jährige noch drei Positionen gut. Dass eine Zeit von 2:05:10 Stunden beim Berlin Marathon nicht für einen Top-Ten-Platz gereicht hat, ist nicht nur bei diesem Event ein Novum, sondern das gab es in der Marathon-Geschichte generell noch nie. Wenngleich diese unheimliche Dichte im Leistungsbereich von 2:04 und 2:05 Stunden in Berlin in den letzten Jahren nie da war. Nur ein einziges Mal reichte eine Zeit wie jene von Abraham beim Berlin Marathon nicht für einen Top-Drei-Platz, nämlich 2019 als Kenenisa Bekele gewann. Und das setzte sich fort: 23 Läufer blieben unter 2:10 Stunden, 67 unter 2:20, 199 (bzw. 213, wenn Netto-Zeiten gerechnet), darunter die beiden Österreicher Martin Mistelbauer (team2012.at) und Marcus Reischauer (CLR Sauwald Cofain 699), unter 2:30 Stunden.

Fast 48.000 Läuferinnen und Läufer hatten sich für die 49. Auflage des Berlin Marathon angemeldet, nicht weniger als 156 verschiedene Nationalitäten befanden sich im Läuferfeld. Damit überstiegen die Anmeldungen den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2019, allerdings gelang mit 42.974 Finisherinnen und Finishern die zweitbeste Anzahl nach 2019, freilich ein Fortschritt um über 8.000 Finisher plus im Vergleich zum vergangenen Jahr.

Ergebnis Berlin Marathon 2023 der Männer

  1. Eliud Kipchoge (KEN) 2:02:42 Stunden
  2. Vincent Kipkemi (KEN) 2:03:13 Stunden *
  3. Tadese Takele (ETH) 2:03:24 Stunden *
  4. Ronald Korir (KEN) 2:04:22 Stunden **
  5. Haftu Teklu (ETH) 2:04:42 Stunden **
  6. Andualem Shiferaw (ETH) 2:04:44 Stunden **
  7. Amos Kipruto (KEN) 2:04:49 Stunden
  8. Philemon Kiplimo (KEN) 2:04:56 Stunden **
  9. Amanal Petros (GER) 2:04:58 Stunden ***
  10. Bonface Kiplimo (KEN) 2:05:05 Stunden
  11. Tadesse Abraham (SUI) 2:05:10 Stunden **** / *****
  12. Okubay Tsegay (ERI) 2:05:20 Stunden **
  13. Josphat Boit (KEN) 2:05:42 Stunden **
  14. Tade Abate (ETH) 2:05:44 Stunden
  15. Justus Kangogo (KEN) 2:05:57 Stunden **
  16. Michael Somers (BEL) 2:08:09 Stunden **
  17. Denis Chirchir (KEN) 2:08:22 Stunden
  18. Samuel Fitwi (GER) 2:08:28 Stunden **
  19. Dominic Nyairo (KEN) 2:08:47 Stunden
  20. Hendrick Pfeiffer (GER) 2:08:48 Stunden **

    22. Weynay Gebresilasie (GBR) 2:09:50 Stunden **
    24. Teshome Mekonen (USA) 2:10:16 Stunden **
    27. Jared Ward (USA) 2:11:44 Stunden
    31. Ghirmay Ghebreslassie (ERI) 2:12:34 Stunden
    32. Konstantin Wedel (GER) 2:12:39 Stunden **
    110. Martin Mistelbauer (AUT) 2:25:32 Stunden
    113. Marcus Reischauer (AUT) 2:25:43 Stunden **

* Marathon-Debüt
** neue persönliche Bestleistung
*** neuer deutscher Rekord
**** neuer Schweizer Rekord
***** neuer Masters-Weltrekord

BMW Berlin Marathon

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