Der letzte Auftritt von Mo Farah
Am Sonntag feiert eine britische, europäische und globale Lauflegende ihren Abschied vom Spitzensport. Mo Farah, mittlerweile 40 Jahre alt, hat dafür jenen Straßenlauf gewählt, bei dem er erfolgreicher war als bei jedem anderen, dem Great North Run. So beeindruckend lang seine Erfolgsserie mit vier Olympischen Goldmedaillen und sechs WM-Titeln auf der Bahn, so rasch ging gefühlt das letzte Kapitel seiner Karriere, der Umstieg in den Marathon zu Ende – wenngleich ihm ein Europarekord und ein Stockerlplatz beim London Marathon gelangen. In Erinnerung bliebt auch eine dramatische persönliche Geschichte, die lange Zeit im Verborgenen geblieben ist.

Symbolfoto. © Unsplash / Miguel Amutio
Mo Farah feiert Abschied – und es wird ein emotionaler, bei dem Tränen fließen werden. Nie hat der britische Laufstar seine Liebe zum Laufen und seine Liebe zu den (britischen) Laufevents verborgen, immer hat er den Genuss, daran teilzunehmen öffentlich betont. Ein Event, das ihm ganz besonders am Herzen liegt, hat er dazu erkoren, das letzte Kapitel einer langen Karriere zu schreiben. 22 Jahre, nachdem er in Grosseto Junioren-Europameister wurde. 17 Jahre, nachdem er in Göteborg erstmals eine EM-Medaille errang und 13 Jahre nach seinem ersten von fünf EM-Titeln. Zwölf Jahre nach seinem ersten von sechs WM-Titeln, damals im 5.000m-Lauf, der letzte kam 2017 in London über 10.000m dazu. Elf und sieben Jahre, nachdem ihm in London und in Rio unter den Olympischen Ringen jeweils das Langstrecken-Doppel gelang. Fünf Jahre, nachdem er in Chicago den Marathon-Europarekord verbesserte. Und acht Jahre nach seinem ersten von sechs Erfolgen beim Great North Run.
Der wahre Mo Farah
Die glorreiche Karriere des Briten erscheint in einem anderen Licht, als er in einer im Sommer 2022 ausgestrahlten BBC-Dokumentation der Öffentlichkeit seine wahre Lebensgeschichte bekannt gab. Dass er eigentlich Hussein Abdi Kahin heißt und als Kind unter einer falschen Identität nach Großbritannien gebracht wurde, auf illegalem Weg. Mo Farah ist einer der bekanntesten Namen der britischen Sportgeschichte und der globalen Leichtathletik-Geschichte, aber diese Identität gehört einem anderen. Dass er die ersten Jahre Kinderarbeit verrichten musste und unter psychischen Druck versetzt wurde. Dass das Laufen und Begegnungen im Laufsport ihn aus seiner eigenen Lebensgeschichte davonlaufen ließen.
Heute ist der 40-Jährige, der jahrelang in Portland in Oregon lebte und mit dem umstrittenen Trainer Alberto Salazar zusammenarbeitete, eines der Gesichter Großbritanniens. So groß ist Mo Farah. Der Läufer ist mit Tania Nell verheiratet. Das Paar hat vier Kinder, wobei seine Frau eines aus einer früheren Beziehung mit in die Familie brachte.
„Der Messi unseres Sports“
Beim Great North Run, dem größten Halbmarathonlauf der Welt, ist man stolz, dass Mo Farah, der London immer als seine Heimatstadt bezeichnet hat, nicht dort, sondern im Nordosten Englands seinen Abschied aus dem Spitzensport feiert. Sir Brendan Foster, anerkannter ehemaliger englischer Läufer, TV-Kommentator und Gründer des Great North Run, versprach nach einem Telefonat mit Farah, das Beste zu geben, um seinen Abschied gebührend zu präsentieren. Das erzählt die britische Tageszeitung „Daily Mail“ auf ihrer Website. Es werde warmherzig, emotional, ein historischer Moment. Foster sei überzeugt, dass sich Farah in guter Form von der Bühne Spitzensport verabschieden werde – er habe sich im Höhentrainingslager in den Pyrenäen gut und diszipliniert darauf vorbereitet. Und adelt den sechsfachen Sieger des Halbmarathons von Newcastle nach South Shields als den „Lionel Messi des Laufsports in unserem Land“.
Die Marathon-Olympiasiegerin als weiblicher Star des Events
Der Great North Run lädt zu einer grandioses Laufparty. Rund 60.000 Läuferinnen und Läufer werden am Sonntag in Newcastle an den Start gehen. Weitere 10.000 Nachwuchsläuferinnen und Nachwuchsläufer sind bereits am Samstag bei den Kinder- und Jugendrennen im Einsatz, natürlich wird Mo Farah als Ehrengast einige Startschüsse übernehmen.
Natürlich stimmt auch die Qualität in den Elitefeldern. Marathon-Olympiasiegerin Peres Jepchirchir und ihre kenianische Landsfrau Sharon Lokedi, Siegerin des New York City Marathon 2022, führen das Elitefeld der Frauen an. Ursprünglich war auch Tirunesh Dibaba angekündigt. Nicht dabei ist die frühzeitig präsentierte, britische Topläuferin Eilish McColgan, die sich gerade von einer Rückenverletzung erholt. Prognostiziert werden für Sonntag sommerliche Bedingungen. Auf der Veranstaltungswebsite richtet sich ein Statement an die Teilnehmenden: „Sonntag wird nicht der Tag, an dem ihr eine persönliche Bestzeit anvisieren sollt.“ Dann wird es auch für die Besten schwierig, richtig schnell zu laufen.
Farah gegen zwei seiner bedeutendsten Kontrahenten
Bei den Männern sind der dreifache Halbmarathon-Weltmeister Geoffrey Kamworor aus Kenia sowie der zweifache 5.000m-Weltmeister Muktar Edris die großen Namen im Feld neben dem allergrößten. Er sei höchst aufgeregt, Teil des letzten Wettkampfs von Mo Farah, der eine unglaubliche Karriere hingelegt hat, zu sein, meinte der Kenianer im Vorfeld. Kamworor war einer der bedeutendsten Kontrahenten in der Karriere des britischen Laufstars, auch wenn er deutlich jünger ist. Kein einziges der sechs direkten Aufeinandertreffen auf der Bahn konnte der Kenianer für sich entscheiden, aber im Halbmarathon lautet die Bilanz 1:0: 2016 wurde Kamworor in Cardiff Halbmarathon-Weltmeister, Farah gewann Bronze. Und beim London Marathon 2023 kam der Kenianer als Zweiter ins Ziel, der Brite als Neunter.
Im Rückblick auf Farahs Karriere ist aber die Person Muktar Edris der spannendere Rivale. Der Äthiopier beendete ausgerechnet im Olympiastadion von London die langjährige Siegesserie des Briten auf globaler Ebene, als er den Endspurt um Gold im 5.000m-Lauf knapp für sich entschieden hat. „Ich bin oft gegen Mo gelaufen und ich habe höchsten Respekt vor ihm. Nach unserem Duell bei den Weltmeisterschaften 2017 habe ich meinen Sohn nahm ihm benannt. Ich freue mich sehr, ein weiteres Mal unsere Rivalität und Freundschaft zu erneuern“, sagte Edris.
Mo Farah hat angekündigt, alles zu geben und hofft, sich besser zu fühlen als beim Big Half in London vor einer Woche, als er gesundheitlich leicht abgeschlagen war. Realistischerweise ist der 40-Jährige trotz seiner Siege nicht zum Favoritenkreis zu zählen, keine halbwegs aktuelle Wettkampfleistung gäbe dafür einen Anlass. Obwohl der sechsfache Sieger erst ein einziges Mal beim Great North Run nicht als Sieger ins Ziel lief – und zwar bei seinem Debüt 2013, als er zwar Haile Gebrselassie hinter sich ließ, aber eine Sekunde hinter Kenenisa Bekele blieb. Im Sandwich zweier Legenden. 2023 ist Mo Farah selbst die Legende beim Great North Run.