WM 2023: El Bakkali weist Girma wieder in die Schranken
Soufiane El Bakkali bleibt der König der Meisterschaftsrennen. Nach dem Olympiasieg in Tokio und dem WM-Titel in Oregon war der Marokkaner auch bei den Weltmeisterschaften in Budapest nicht zu schlagen. Der Weltrekordhalter Lamecha Girma beschleunigte spät und zaghaft und konnte den Meister der Meisterschaftsentscheidungen damit nur dezent kitzeln. Bronzemedaillengewinner Abraham Kibiwot rettete Platz drei trotz eines Sturzes in der Schlussrunde.

© Stephen Pond / Getty Images for World Athletics
Der Dienstagabend in Budapest war der Abend der strahlenden Gesichter. Nicht alle ließen ein Feuerwerk an Emotionen starten wie die Weltmeister in den technischen Bewerben, bei den Laufentscheidungen kannten die Sieger das Champion-Gefühl bereits. Wie Faith Kipyegon wenige Minute zuvor nahm Soufiane El Bakkali seinen neuerlichen Triumph recht gelassen, aber mit dem marokkanisch-typischen Nationalstolz versehen. „Ich hatte eine großartige Vorbereitung auf diese WM. Ich war bereit, in diesem starken Feld alles zu geben und ich habe an den Sieg geglaubt. Ich bin wirklich stolz, eine weitere Goldmedaille nach Hause zu bringen“, jubelte der 27-Jährige, der die letzten sechs Duelle gegen Girma allesamt gewonnen hat. Es war das erste direkte Aufeinandertreffen der beiden Stars der Szene in diesem Jahr, das gab dem WM-Rennen von Budapest eine ganz besondere Note. Und El Bakkali lieferte – nach Gold in Tokio 2021 und Oregon 2022 – zum dritten Mal in Serie beeindruckend ab.
Die silberne Serie
Der Dienstagabend in Budapest war auch der Abend der finsteren Mienen der Silbermedaillengewinner. Das war in den technischen Disziplinen genauso wie in den beiden Laufbewerben. Lamecha Girma zauberte Anfang Juni in Paris einen Weltrekord von 7:52,11 Minuten auf die Laufbahn und übertrumpfte damit sogar den übermächtigen marokkanischen Rivalen auf der Zeitenliste deutlich. Dessen neue persönliche Bestzeit ist um viereinhalb Sekunden „langsamer“, doch bei Meisterschaftsrennen kommt es bekanntermaßen auf andere Fähigkeiten verstärkt an. Und da hat El Bakkali die bessere Schlussrunde. Die viel bessere! In sage und schreibe 58,35 Sekunden absolvierte der Titelverteidiger den letzten Umlauf inklusive der vier Hindernisse und des Wassergrabens. Da verblasst die Schlussrunde von Lamecha Girma in 60,62 Sekunden ordentlich. Zum dritten Mal in Folge bekam der beste Hindernisläufer der äthiopischen Geschichte WM-Silber umgehängt, dazu kommt die Olympische Silbermedaille von Tokio. Aber die Historie lehrt Hoffnung: Der Letzte, der dreimal Silber in Folge gewann, war die kenianische Hindernislauf-Legende Ezekiel Kemboi, der nach dieser Serie viermal in Folge Weltmeister wurde. „Meine Ziele haben sich nicht geändert. Ich will weiterhin einmal bei Weltmeisterschaften oder bei Olympischen Spielen gewinnen und das motiviert mich für das nächste Jahr“, so der 22-Jährige.
Silber: Lamecha Girma (Äthiopien) 8:05,44 Minuten
Bronze: Abraham Kibiwot (Kenia) 8:11,98 Minuten
4. Leonard Bett (Kenia) 8:12,26 Minuten
5. George Beamish (Neuseeland) 8:13,46 Minuten
6. Ryuji Miura (Japan) 8:13,70 Minuten
7. Simon Koech (Kenia) 8:14,37 Minuten
8. Jean-Simon Desgangés (Kanada) 8:15,58 Minuten (PB)
9. Daniel Arce (Spanien) 8:18,31 Minuten
10. Kenneth Rooks (USA) 8:20,02 Minuten
11. Getnet Wale (Äthiopien) 8:21,03 Minuten
12. Leonard Chemutai (Uganda) 8:21,61 Minuten
13. Mohamed Ambin Jhinaoui (Tunesien) 8:23,08 Minuten
14. Ryoma Aoki (Japan) 8:24,77 Minuten
15. Simon Sundström (Schweden) 8:27,68 Minuten
16. Isaac Updike (USA) 8:30,67 Minuten
* neue persönliche Bestleistung
Drittschnellste Siegerzeit bei der WM
Die Siegerzeit von 8:03,53 Minuten, bei 28°C. trotz der späten Startzeit um 21:45 Uhr, ist ebenfalls bemerkenswert, nur zweimal war in der WM-Geschichte ein Hindernislauf schneller: 2009, als Ezekiel Kemboi gewann, und 2019, als Conseslus Kipruto den letzten Erfolg der beeindruckenden kenianischen Siegesserie bei Weltmeisterschaften feierte. Dann ging das Zepter von Kenia nach Marokko über, dank Ausnahmeläufer Soufiane El Bakkali, der nach seiner Bronzemedaille in Doha 2019 nur noch ein einziges Hindernisrennen nicht gewonnen hat: 2021 bei Weltklasse Zürich gegen den Kenianer Benjamin Kigen, der heuer nur noch ein Schatten seiner Selbst ist.
Überlegenheit über die Hindernisse
Angesichts dieser Voraussetzungen erstaunte es, dass Lamecha Girma nicht noch mehr Risiko ging – wobei eine Zeit von 8:05,44 Minuten schon recht nah am Leistungslimit ist, wenn die Rahmenbedingungen der fehlenden Tempomacher, Wavelights und der Hitze miteingerechnet sind. Aber auch nach dem Rennen sagte der Äthiopier, er war in physischer und technischer Topform und hatte das Niveau für einen Weltrekordlauf. Dennoch überließ er lange Zeit dem jungen Kenianer Leonard Bett die Führungsarbeit und das Tempo war mit einem ersten Kilometer in einer Zeit von 2:50,41 Minuten nicht langsam. „Wir werden diskutieren, was nicht so gut war“, meinte er nach dem Rennen. Irgendwie ein Déjà vu nach Eugene 2022.
Kurz vor der Zwischenzeit bei 2.000m übernahm der 22-jährige Äthiopier in diesem Steigerungslauf die Initiative. El Bakkali lief von Beginn an umsichtig, war darauf vorbereitet und folgte Girma. Die beiden legten nun ein wahnsinniges Tempo vor, vor allem auf den letzten 600 Metern öffneten sie einen riesigen Unterschied zwischen sich und dem Rest der Besten der Welt. Bereits die vorletzte Runde war knapp unter einer Minute schnell, es wurde für den Sieger noch besser. El Bakkali attackierte vor dem letzten Wassergraben und profitierte wie bei allen Hindernissen von seiner besseren Technik und vom flüssigeren Überwinden der Hindernisse im Vergleich zum Äthiopier.
Bronze trotz Sturz für Kibiwot
Die Bronzemedaille sicherte sich der beste der Kenianer, zur Überraschung war das nicht der kenianische Meister Simon Koech, der heuer in Abwesenheit El Bakkalis und Girmas ein Diamond-League-Rennen gewonnen hatte, sondern Abraham Kibiwot, der im vergangenen Jahr nach Rang fünf bei den Weltmeisterschaften die Goldmedaille bei den Commonwealth Games gewonnen hatte. Der Medaillengewinn des 27-Jährigen war jedoch dramatisch. Mit einem Vorsprung von gut zwei Sekunden auf seinen Landsmann Bett ging er in die letzte Runde, kam aber gleich danach beim nächsten Hindernis zu Sturz. Er richtete sich rasch wieder auf, verlor zwischenzeitlich den dritten Platz, und holte ihn am letzten Wassergraben wieder zurück. Nach 8:11,98 Minuten wusste er endgültig, dass die Schrecksekunde ohne negative Folgen auf die Platzierung blieb. „Großartig! Ich verspüre eine große Freude“, jubelte Kibiwot über seine erste globale Medaille.
Der erstaunliche Erfolg von Newcomer George Beamish
Für Kenia waren die Positionen drei und vier Schadensbegrenzung, das Maximum des Erwartbaren angesichts der Stellung El Bakkalis und Girmas. Immerhin verlängerte sich die Serie, dass seit inklusive 1991 immer mindestens ein Kenianer bei Weltmeisterschaften auf dem Stockerl stand. Hinter den in dieser Disziplin dominierenden Afrikaner war George Beamish der Beste. Der fünfte Platz des ersten neuseeländischen WM-Finalisten in dieser Disziplin der Geschichte ist nicht nur deshalb beachtlich, weil er in einer Zeit 8:13,46 Minuten in der Nähe seines Landesrekords blieb, sondern deshalb, weil der 26-Jährige den 3.000m-Hindernislauf erst seit Saisonbeginn als seine neue Hauptdisziplin betreibt. Vor seinem Hindernislauf-Debüt zu Saisonbeginn agierte der US-Student jahrelang vor allem im 3.000m- und 5.000m-Lauf.
Knapp hinter Beamish schaffte Ryuji Miura mit Platz sechs die mit Abstand beste Platzierung eines japanischen Läufers in der WM-Historie von 3.000m-Hindernisläufen. Erst dann kam Koech ins Ziel, gefolgt vom Kanadier Jean-Simon Desgagnés, der wie im Vorlauf eine neue persönliche Bestleistung aufstellte. Nur zwei Europäer haben es überhaupt ins 16-köpfige Feld der Finalisten geschafft, Daniel Arce war als Neunter der stärkere des Duos. Die große Enttäuschung des Wettkampfs war neben Koech Getnet Wale aus Äthiopien, der nicht über Platz elf hinauskam.
Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2023 in Budapest