WM 2023: Bühne frei für den Saison-Höhepunkt

Vom heutigen Samstag an blickt die Leichtathletik-Welt neun Tage lang auf Budapest. Die ungarische Hauptstadt ist Austragungsort der 19. Titelkämpfe. Nur einmal zuvor fanden die zweitwichtigsten Titelkämpfe der Sportart nach den ins Olympische Programm eingegliederte Leichtathletik-Programm ähnlich nahe an der österreichischen Grenze statt – 1993 in Stuttgart. Wettkampfstätte ist eine gänzlich neu errichtete Leichtathletik-Arena am Ufer der Donau, die nach den Weltmeisterschaften in ihrer Zuschauerkapazität von 36.000 auf 14.000 reduziert werden soll. Über 300.000 Tickets hat der Veranstalter bereits verkauft.

© Christian Petersen / Getty Images for World Athletics

2.187 Athletinnen und Athleten aus 202 Mitgliedsverbänden haben sich für die 49 ausgetragenen Bewerbe nach einem durchaus komplizierten System qualifiziert, darunter befindet sich auch ein achtköpfigesösterreichisches Team (siehe eigenen Vorbericht). Mit der Athletenzahl wurde die bisherige Bestleistung der Titelkämpfe 2009 in Berlin um fast 300 Teilnehmenden übertroffen, damit kann ein Rekord bereits vor dem Feststehen der tatsächlichen Teilnehmerzahl getrost ausgerufen werden. Eine höhere Zahl an beteiligten Nationen gab es dagegen schon dreimal. Im Teilnehmerfeld befinden sich 38 Titelverteidigerinnen und Titelverteidiger bei 44 amtierenden Weltmeisterinnen und Weltmeistern in Einzeldisziplinen – dieser unüblich hohe Prozentsatz erklärt sich dadurch, dass die letzten Weltmeisterschaften aufgrund der Pandemie bedingten Verzögerungen erst ein Jahr zurückliegen – Oregon 2022.

Das größte europäische Team stellt das französische mit 79 Athletinnen und Athleten, knapp gefolgt von Deutschland und Italien, das je 78 Sportlerinnen und Sportler entsendet hat. Das Schweizer Team umfasst 37 Athletinnen und Athleten. Mit acht Athletinnen und Athleten ist der Österreichische Leichtathletik-Verband mit der größten Delegation des laufenden Jahrhunderts beteiligt. Am Start ist neuerlich das Athlete Refugee Team von World Athletics, welches neuerdings durch einen Sponsordeal von ASICS unterstützt wird.

Eine weitere WM ohne Russland

Nicht dabei sind Athletinnen und Athleten aus Russland und Weißrussland. Sebastian Coe, alter und neuer Präsident des Leichtathletik-Weltverband, hat vor einigen Wochen seine Position angesichts der kriegerischen Aggression verdeutlich: „Hier bin ich nicht neutral.“ Damit bekräftigte World Athletics seine Position, während das Internationale Olympische Komitee Richtung einer Startberechtigung unter neutralem Status abgebogen ist, da Athleten nicht aufgrund ihres Reisepasses von Olympischen Spielen ausgeschlossen werden sollten, so die Argumentation von IOC-Präsident Thomas Bach. Coe konterte ein einem Interview mit „Inside the Games“: „Die Leichtathletik wird nicht auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Unser Council hat klare Signale gegeben und eine durchdachte Entscheidung getroffen. Wir sind kein aus Prinzip-Neinsager Verband, wir haben keine politische Entscheidung getroffen, sondern eine angesichts einer Invasion gegenüber ein Land, dessen Infrastruktur zerstört wird.“ Außerdem ist der russische Verband nach wie vor wegen der Dopingsystematik des vergangenen Jahrhunderts suspendiert.

RunAustria-TV-Tipp: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften werden im ORF Sport+ und auf Eurosport live ausgestrahlt.
RunAustria-Lesetipp: Die WM-Vorschau aus österreichischer Sicht

ÖLV-Team mit Motivation zur WM

Ingebrigtsen greift nach fehlendem Titel

Die Scheinwerfer in der WM-Arena von Budapest werden mitunter ganz stark auf Jakob Ingebrigtsen gelenkt sein, der in dieser Saison noch einmal gereift ist und die 1.500m-Welt im Griff hat. In dieser Disziplin hat der Norweger, einer von 13 Europäern, die als Führende der Weltjahresbestenliste ins Geschehen eingreifen, noch eine Rechnung offen, musste er sich als Olympiasieger doch in Eugene dem heuer aufgrund einer Verletzung abwesenden Jake Wightman geschlagen geben. Die WM-Goldmedaille fehlt also noch im Erfolgsset des Ausnahmeläufers, der auch im 5.000m-Lauf gerne seinen Titel verteidigen würde. Bisher hat er sich in seinem Saisonverlauf ausschließlich der Mittelstrecke gewidmet, auf der er einen neuen Europarekord aufgestellt hat und ungeschlagen ist.

Hochspannung über 5.000m und im 3.000m-Hindernislauf

Der 5.000m-Lauf ist wohl die spannendste Laufentscheidung bei den Männern in diesem Jahr. Mehrere pfeilschnelle Diamond-League-Rennen entfachten die Vorfreude, die hauptsächlich von äthiopischen Läufern dominiert wurden. Dazu kommen die besten Kenianer, Weltrekordhalter Joshua Cheptegei und der Spanier Mohamed Katir, der Ingebrigtsen den Europarekord abgejagt hat. Traditionell gibt es eine Woche vor der Entscheidung im 5.000m-Lauf am finalen Wettkampftag den ersten Schlagabtausch über die doppelte Distanz mit einem Großteil der genannten Hauptprotagonisten, allerdings ohne die beiden Europäer.

Ein weiteres Highlight ist das erstmalige Aufeinandertreffen zwischen den beiden Topstars im 3.000m-Hindernislauf in dieser Saison: Soufiane El Bakkali, der alle jüngsten Meisterschaftsrennen deutlich für sich entschieden hat, und Lamecha Girma, der neue Weltrekordhalter, dem ein großer Erfolg bei globalen Titelkämpfen noch fehlt.

Die Medaillenentscheidungen im Laufbereich:

  • Samstag, 19. August um 20:55 Uhr: 10.000m-Lauf der Frauen
  • Sonntag, 20. August um 18:25 Uhr: 10.000m-Lauf der Männer
  • Dienstag, 22. August um 21:31 Uhr: 1.500m-Lauf der Frauen
  • Dienstag, 22. August um 21:42 Uhr: 3.000m-Hindernislauf der Männer
  • Mittwoch, 23. August um 21:15 Uhr: 1.500m-Finale der Männer
  • Samstag, 26. August um 7 Uhr: Marathonlauf der Frauen
  • Samstag, 26. August um 20:30 Uhr: 800m-Lauf der Männer
  • Samstag, 26. August um 20:50 Uhr: 5.000m-Lauf der Frauen
  • Sonntag, 27. August um 7 Uhr: Marathon der Männer
  • Sonntag, 27. August um 20:20 Uhr: 5.000m-Lauf der Männer
  • Sonntag, 27. August um 20:45 Uhr: 800m-Lauf der Frauen
  • Sonntag, 27. August um 21:05 Uhr: 3.000m-Hindernislauf der Frauen

Hassan neuerlich in drei Bewerben am Start

Zu den Superstars der Weltmeisterschaften gehört auch Sifan Hassan, die wie bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio das Mammutprogramm schlechthin wählt. Die Siegerin des diesjährigen London Marathon will den 1.500m-, den 5.000m und den 10.000m-Lauf bestreiten. Vor allen Dingen am ersten Wochenende ist damit durch das Finale im 10.000m-Lauf und den ersten beiden Durchgängen über die Mittelstrecke ihr Programm knackig voll. In Tokio gewann die Holländerin die beiden langen Distanzen und holte Bronze im 1.500m-Lauf, einmalig in der Neuzeit der Leichtathletik.

Faith Kiypegon: WM-Superstar in spe

Dieses Mal wird die Aufgabe aber ungleich schwieriger, denn die dominierende Läuferin der bisherigen Saison heißt Faith Kipyegon. Die Kenianerin markierte gleich drei neue Weltrekorde und gilt im 1.500m-Lauf im Prinzip als unschlagbar. Die neue Weltrekordmarke und die beeindruckende Endschnelligkeit in der Schlussrunde machen die 29-Jährige auch in der längeren Entscheidung zur Favoritin, womit das historische Double nicht nur realisierbar, sondern wahrscheinlich scheint. Dass mit Titelverteidigerin Gudaf Tsegay und der ehemaligen Weltrekordhalterin Letesenbet Gidey noch zwei bärenstarke Äthiopierinnen im Rennen sind, macht die Entscheidung im 5.000m-Lauf speziell.

Das 54-jährige kenianische Team reist mit hohen Erwartungen nach Europa. „Wir haben ein brillantes Team, das in der Lage ist, eine rekordverdächtige Medaillenbilanz zu erreichen. Wir erwarten ein gutes Abschneiden nicht nur in den Laufbewerben, sondern auch im Sprint. Unsere Athletinnen und Athleten haben ihr massives Potenzial bereits unter Beweis gestellt“, sagte Paul Mutwii, Vize-Präsident des kenianischen Verbandes, gegenüber der kenianischen Zeitung „The Star“.

Briten verfolgten eigene Nominierungskriterien

Ein dritter großer Name im 1.500m-Lauf der Frauen ist Europameisterin Laura Muir, die das britische Aufgebot als Kapitänin anführt. Die Nominierung des Verbandes (UK Athletics) hat im Vorfeld für Missstimmung gesorgt. Denn UK Athletics orientierte sich in seiner Nominierung nicht an die Kriterien der Weltrangliste und Qualifikationsmechanismen von World Athletics, sondern nominierte mit Fokus auf das Potenzial, Top-Acht-Platzierungen zu erreichen. Wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ am 26. Juli berichtete, fühlten sich einige Athletinnen und Athleten um ihre WM-Chance betrogen. „Für unseren Sport ist das nicht hilfreich. Wir fühlen uns sehr schlecht behandelt und ich bin nicht der Meinung, dass der nationale Verband hier eigene Wege beschreiten sollte“, schimpfte etwa die betroffene Sprinterin Lina Nielsen, die sich nicht über das Direkt-Limit qualifiziert hatte. Somit fällt das britische WM-Team deutlich kleiner aus als vor einem Jahr. Der Verband dementierte, dass die Entscheidung aus finanziellen Gründen getroffen wurde – die Finanzprobleme von UK Athletics sind freilich bekannt.

Einige Stars glänzen durch Abwesenheit

Bedauernswerterweise muss die Leichtathletik auch einige prominente Absagen hinnehmen. Im Laufbereich fehlt in Budapest unter anderem 5.000m-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen. Eine recht aktuelle Absage betrifft die britische Commonwealth-Games-Siegerin Eilish McColgan, die im 10.000m-Lauf an den Start gehen sollte. Sie schleppt sich seit dem Frühling mit Beschwerden am Knie herum, erklärte die Schottin auf X. Sie sei nach den jüngsten Einheiten mit dem britischen Team in St. Moritz zuversichtlich und will den Schwung mit in das Olympia-Jahr nehmen.

Möglicherweise kommt mit 800m-Weltmeisterin und -Olympiasiegerin Athing Mu noch ein abwesender Star hinzu. Die Amerikanerin, die sich in dieser Saison recht rar machte, war zu Monatsbeginn Hauptdarstellerin eines Artikels in der Los Angeles Times und immer noch ist unklar, ob Mu bei der WM starten wird. Das wirklich überraschende daran ist, dass ihr neuer Trainer Bob Kersee in diesem Interview erzählte, dass Mu weder verletzt sei noch unter anderen gesundheitlichen Problemen leiden würde sowie auf der anderen Seite gut trainiert habe. Der Grund für den möglichen Verzicht wäre die frühzeitige Fokussierung der Olympia-Vorbereitung. Bereits davor hatte Mu angekündigt, lediglich auf den 800m-Lauf zu fokussieren, indem sie Titelverteidigerin ist, und den 1.500m-Lauf, für den sie sich auch qualifiziert hatte, auszulassen. Mit Sydney McLaughlin-Levrone fehlt in Budapest übrigens auch der zweite Weltstar, der unter Kersee trainiert.

Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2023 in Budapest

About Author