Italien fordert Gastgeber Polen bei Team-EM
Seit 2009 gibt es die Team-Europameisterschaften in der Leichtathletik mit den verschiedenen Leistungsklassen und diversen Änderungen im Modus. 2023 ist sie erstmals komplett im Programm der Europaspiele in Schlesien integriert, womit die Leichtathletik endlich würdig bei diesem Event repräsentiert wird. Bisher gab es nur drei verschiedene Europameister: Deutschland, Russland und Polen. Weil Russland nicht startberechtigt ist, sind nur zwei Europameister-Teams im Einsatz. Eines davon, Polen, ist wie im letzten Jahr mit Chorzow Gastgeber und wird Tausende Leichtathletik verrückte Fans ins Stadion Slaski ziehen. Mit Italien würde gerne eine Nation den Kreis der Team-Europameister erweitern und fordert den Gastgeber heraus.

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Das Selbstvertrauen des italienischen Nationalteams ergründet sich nicht nur im knapp verpassten Sieg bei der Team-EM 2021 und den großen Erfolgen bei den Olympischen Wettkämpfen wenige Monate später mit gleich fünf Goldmedaillen, sondern auch durch einen Aufschwung in den Nachwuchsklassen und bei Nachwuchs-Europameisterschaften in den vergangenen Jahren. Dieses Selbstbewusstsein äußerte der extrovertierte Team-Kapitän Gianmarco Tamberi beim Team-Meeting, wie auf der Website des Italienischen Leichtathletik-Verbandes (FIDAL) zu lesen ist: „Wir sind eine der stärksten Nationalmannschaften der Welt, alle fürchten uns. Individuell ist es sicherlich nicht der Wettkampf der Saison, aber als Mannschaft schon. Und so werden wir agieren.“ Jeder Athlet, jede Athletin solle das Maximum seines bzw. ihres Potenzials abrufen, fordert der Technische Direktor des Verbandes, Antonio La Torre. „Wir sind nicht mehr die Mannschaft mit zwei oder drei Stars. Mittlerweile haben wir viele Pfeile im Köcher, die treffen können.“
Polen und Italien in leichter Favoritenrolle
Das Aufgebot der besten Leichtathletik-Nationen des Kontinenten mit zwölf amtierenden Europameistern im Feld verspricht Spannung. Polen und Italien scheinen leicht in der Favoritenrolle auf die Goldmedaille zu sein. Auch weil im Gegensatz zu Polen und Italien die traditionell starken Teams aus Deutschland und Großbritannien nicht in Bestbesetzung nach Polen gereist sind. Daher werden im Ausblick auf kleinere Brötchen gebacken: „Ein Sieg bei den heimstarken Polen wird für das DLV-Team eine Herausforderung. Dennoch werden wir alles dafür geben, bei der Team-EM bestmöglich abzuschneiden und an die Erfolge vorangegangener Jahre anzuknüpfen“, sagt DLV-Sportdirektor Jörg Bügner. Eine Medaille bleibe das Ziel, ergänzt er. Gerade im Laufbereich könnte Deutschland gegenüber konkurrierenden Nationen Punkte einbüßen, aus verschiedenen Gründen kommt es hier nicht zur Bestbesetzung. So fehlen zum Beispiel Konstanze Klosterhalfen, Karl Bebendorf oder Christina Hering. Gute Chancen gibt es im 1.500m-Lauf mit Hanna Klein. Auch im britischen Team sind die stärksten Läuferinnen und Läufer nicht dabei, so fehlen unter anderem Laura Muir, Eilish McColgan oder Jake Wightman. Dass der britische Verband in der Team-EM nicht die höchste Priorität sieht, ist bekannt – allerdings ist die Breite in vielen leichtathletischen Disziplinen auch der Trumpf der Briten. Das Schweizer Nationalteam dagegen geht mit der Ambition an den Start, in der ersten Division zu bleiben.
Spanien und Italien mit starken Läuferteams
Die interessanteste Laufentscheidung des Wochenendes bei den Männern ist vielleicht der 1.500m-Lauf mit WM-Bronzemedaillengewinner Mohamed Katir in Abwesenheit von Jakob Ingebrigtsen, der von Esten Hansen-Möllerud Hauen vertreten wird, als klaren Favoriten. Im Kampf um die Positionen dahinter könnte der 18 Jahre alte Holländer Niels Laros, der aufgrund seines Potenzials schon mit dem großen Jakob Ingebrigtsen vergleichen wird, eine wichtige Rolle spielen. Auch der Italiener Pietro Arese kommt in Topform nach Chorzow, während es zuletzt bei Michal Rozmys aus Polen gar nicht gelaufen ist, womit dieser gar nicht nominiert wurde und von Filip Ostrowski ersetzt wird.
Im 5.000m-Lauf gibt der aus Burundi stammende Thierry Ndikumwenayo sein Debüt für das spanische Nationalteam und ist gemeinsam mit 10.000m-Europameister Yemaneberhan Crippa, der in der laufenden Saison noch keinen 5.000m-Lauf bestritten hat, und dem zuletzt auf Unterdistanzen in Topform auftretenden Andreas Almgren aus Schweden in der Favoritenrolle. Im 3.000m-Hindernislauf könnte es ein mediterranes Duell zwischen dem Spanier Daniel Arce und dem Italiener Osama Zoghlami geben, beide haben schon gute Wettkämpfe im laufenden Kalenderjahr absolviert. Ziemlich offen scheint der 800m-Lauf mit Lokalmatador Mateusz Borkowski und dem Spanier Adrian Ben, die zuletzt aber nicht in bester Form waren. So führt Yanis Meziane aus Frankreich die Liste der Saisonbestleistungen an, auch Andreas Kramer aus Schweden und Ben Pattison aus Großbritannien könnten Chancen haben.
Siegchance für Werro über 800m
Im 800m-Lauf der Frauen hat die Schweiz mit Junioren-Europameisterin Audrey Werro eine Siegchance. Neben der 19-Jährigen sind in diesem Jahr auch die Französin Léna Kandissounon aus Frankreich und die Finnin Eveliina Määttänen unter zwei Minuten gelaufen, dazu kommt die starke britische U23-Europameisterin Isabelle Boffey. Sechs Läuferinnen aus dem Feld haben Saisonbestleistungen unter 2:00,20 Minuten, mit der Deutschen Majtie Kolberg, der Polin Adrianna Tolonicka und der Norwegerin Hedda Hynne drei weitere bereits Bestleistungen unter zwei Minuten.
Der 1.500m-Lauf wird angeführt von der Italienerin Sintayehu Vissa, aber auch Esther Guerrero aus Spanien und Hanna Klein aus Deutschland dürften Chancen auf den Sieg haben. Für die Schweiz tritt 800m-Läuferin Lore Hoffmann an. Im 5.000m-Lauf gibt es mit der Italienerin Nadia Battocletti eine klare Favoritin, für Deutschland will Hindernisläuferin Lea Meyer viele Punkte einfahren. Offen und ohne Europaklasseathletin kommt der 3.000m-Hindernislauf aus, die Schweizerin Chiara Scherrer ist eine von mehreren Kandidatinnen auf den Sieg, auch die Polin Alicja Konieczek gehört auf dem Papier zu den Besten.
37 Disziplinen an drei Tagen
An den kommenden drei Wettkampftagen, jeweils am späten Nachmittag, stehen in Chorzow insgesamt 37 Entscheidungen an. 16 Nationen sind beteiligt, pro Sieg gibt es 16 Zähler, für den zweiten Platz 15 bis hin zu 1 Punkt für den Letzten.
Die Modusänderung von acht Nationen in der Superliga oder zuletzt zwölf auf 16 Nationen in der ersten Division hat einen potenziellen Nachteil. Das bisher spannende Format mit Nationen, die bis zum Schluss entweder um den Sieg, die Medaillen oder gegen den Abstieg gekämpft haben, wird verwässert. Womit die Gefahr besteht, dass das in den letzten Jahren kurzweilige Format an Attraktivität für die Fans und auch die beteiligten Sportlerinnen und Sportler abnimmt.