Emotionales Heimspiel im weltmeisterlichen Rahmen
Sie ist die einzige österreichische Medaillenhoffnung bei der WMTRC 2023 und tatsächlich zählt Andrea Mayr zum Kreis der Medaillenanwärterinnen beim morgigen Vertical. Ihre gute Vorbereitung und gute Verfassung entfachen trotz starker Konkurrenz aus den USA und den afrikanischen Topnationen Optimismus für ein erfolgreiches Heimspiel. Bei den Männern ist Manuel Innerhofer der heimische Top-Mann, der eher am Samstag im Mountain Classic seine Chancen sieht.

© WMTRC 2023 / Oss
34 österreichische Läuferinnen und Läufer werden die Wettkämpfe bei den viertägigen Berglauf- und Trailrunning-Weltmeisterschaften in Tirol in Angriff nehmen. Angeführt wird die rot-weiß-rote Delegation von der sechsfachen Berglauf-Weltmeisterin Andrea Mayr (SVS Leichtathletik), die auch im Alter von nun 43 Jahren zum Kreis der Besten gehört. Ihr Einsatz am ersten Wettkampftag, am morgigen Mittwoch auf der Vertical-Strecke im Stubaital, bietet nicht nur die besten, sondern unter realistischen Ausgangssituationen auch einzigen Medaillenchancen für das Gastgeberland. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Weltmeisterschaften den Startschuss der internationalen Berglauf-Saison 2023 bilden und daher wichtige Erfahrungswerte zur Einschätzung des Teilnehmerfeldes fehlen, versucht die beste Bergläuferin der Geschichte am Tag vor dem Wettkampf den Ball flach zu halten. Der Fokus liegt absolut auf sich und der eigenen Leistungsfähigkeit: „Ich möchte morgen im Ziel ankommen und das Optimale aus meiner derzeitigen Form herausgeholt haben. Ich möchte mit mir und meinem Wettkampf zufrieden sein.“ Natürlich treibt der Traum von einer weiteren WM-Medaille sie seit vielen Monaten an. 21 Jahre nach ihren ersten Berglauf-Weltmeisterschaften, passenderweise ebenfalls in Innsbruck, damals aber von Igls auf den Patscherkofel, ist die Bühne einer Heim-WM speziell. Denn die Emotionen, die Stimmung, der Rahmen – es ist ein Unterschied, ob die Weltmeisterschaften in der fernen Exotik Thailands oder in Österreich stattfinden. Die emotionalen Erinnerungen an den Heim-EM-Titel am Großglockner sind zwar 18 Jahre alt, gleichzeitig noch frisch verankert.
Steile Passagen treffen auf Mayrs Stärke
Um 14 Uhr startet der Wettkampf der Frauen. Auf 7,1 Kilometern vom Freizeitzentrum in Neustift im Stubaital hinauf zur Elferhütte sind 1.020 Höhenmeter zu überwinden, vor allem im zweiten und vierten Streckenviertel ist die Strecke recht steil. Besonders das Teilstück zwischen der Beendigung der kleinen Dorfrunde zum Systematisieren des Starterfelds hinauf auf die 350 Jahre alte Autenalm harmoniert mit den Stärken der Oberösterreicherin, für die ein Berglauf nie steil genug sein kann. Denn in diesen anspruchsvollen Passagen kann sie auch im Alter von 43 Jahren auf globalem Niveau den Takt vorgeben. „Die Herausforderung wird sein, auf dem ersten flachen Kilometer in den Positionskämpfen nicht zu weit hinten zu liegen. Oft ist es so, dass gerade junge Athletinnen mit hohem Tempo loslaufen. Die steilen Passagen sind teilweise recht schmal und ich möchte beim Überholen möglichst wenig Zeit verlieren“, gibt Mayr Einblick in ihre Rennstrategie. Würde sie an der Streckenführung etwas verändern können, würde sie den Mittelteil nach der Autenalm anspruchsvoller gestalten. Daher habe sie bei ihrem zweimaligen Aufenthalt im Stubaital gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und Trainingspartner Andreas Stitz genau diese Passage speziell trainiert. Erst hinauf zum Ziel wird die Strecke noch einmal knackig für ein spannendes Wettkampffinale.
Die Begutachtung der WM-Strecke erfolgte auf Eigeninitiative. Die Möglichkeit, sich dadurch einen Heimvorteil zu kreieren, hat Mehrwert. Siebenmal ist Mayr die Strecke im Training komplett abgelaufen. „Ich kenne jede Kurve, es kann mich nichts überraschen“, meint sie. Österreichs Top-WM-Starterin kann auf eine sehr gute WM-Vorbereitung zurückblicken, die ihren Optimismus für den morgigen Wettkampf steigert. Wenn der Startschuss fällt, wird auch die Nervosität des Hinfieberns auf den Moment X abfallen.
ÖLV hofft auf Medaille beim Heimspiel
Aus heimischer Sicht gehen neben Andrea Mayr die beiden weiteren Medaillengewinner der diesjährigen Staatsmeisterschaften (siehe RunAustria-Bericht) ins Rennen, Laufsport-Novizin Anna Plattner und Routinier Karin Freitag (beide LG Decker Itter). Ergänzt wird das Team von Duathlon-Spezialistin und Lauf-Allrounderin Sandrina Illes (Union St. Pölten), die beispielsweise 2022 die Staatsmeisterschaften im Halbmarathon gewinnen konnte. „Es ist etwas ganz Besonderes, bei Weltmeisterschaften im eigenen Land antreten zu dürfen. Ich kenne die Strecke sehr gut, sie ist fordernd und wird uns alles abverlangen. Doch ich hoffe auch auf einen Heimvorteil und vertraue darauf, viele bekannte Gesichter an der Strecke zu sehen“, sagte die fünffache Marathon-Staatsmeisterin Karin Freitag beim gestrigen Pressetermin in Innsbruck. „Es ist einfach spitze, die WMTRC in Tirol zu haben“, ergänzte die 43-jährige Steirerin, die seit vielen, vielen Jahren in Tirol lebt und arbeitet.
Helmut Schmuck, der im Österreichischen Leichtathletik-Verband für den Berglauf verantwortlich ist, die rot-weiß-rote Delegation leitet und selbst Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zweimal Weltmeister war, meint: „Es würde mich freuen, wenn wir eine Medaille holen. Mit zwei wäre ich schon überzufrieden.“ Andrea Mayr habe im Vertical die besten heimischen Chancen auf eine Top-Drei-Platzierungen, außerdem spekuliert Schmuck mit einer möglichen Medaille in der Nationenwertung im selben Bewerb.
Starke Konkurrenz aus Übersee und Afrika
Aus internationaler Sicht wird der Wettkampf angeführt von Allie McLaughlin, die 2022 in Chang-Mai den Titel im Vertical vor Andrea Mayr geholt hat. Mit Grayson Murphy hat das US-Team eine zweite Medaillenkandidatin im Feld. Für Kenia sind Philaries Kisang, Joyce Muthoni und Valentina Rutto am Start, das Quartett aus Uganda heißt Risper Chebet, Annet Chelangat, Joy Cheptoyek und Immaculate Chemutai – das alles sind lauter spannende Herausforderungen auch für Andrea Mayr. Weitere prominente Läuferinnen im Rennen sind die beiden deutschen Marathon-Spezialistinnen Laura Hottenrott und Domenika Mayer, die Irin Sarah McCormack, die Schweizerin Judith Wyder, die Kanadierin Sasha Gollish, die Französin Christel Dewalle, die Rumänin Monica Madalina Florea oder die tschechische Marathonläuferin Tereza Hrochova. Die fünffache Europameisterin Maude Mathys aus der Schweiz fehlt dagegen.
Manuel Innerhofer mit gedämpfter Erwartungshaltung im Vertical
Bereits eine Stunde vor den Frauen gehen die Männer auf die Strecke und eröffnen damit das Bewerbsprogramm der WMTRC 2023. Heimischer Top-Athlet ist Manuel Innerhofer (LC Oberpinzgau), der bereits sechsmal den Staatsmeistertitel im Berglauf gewonnen hat. Der Salzburger startet in Innsbruck zweimal, seine Chancen auf eine Spitzenplatzierung sind wohl im Mountain Classic am Samstag größer als im Vertical am Mittwoch – 2019 bei den Weltmeisterschaften in Argentinien überzeugte er mit einer starken Bergab-Passage und Gesamtrang sechs. „Die Strecke des Mountain Classic taugt mir voll, das wird auch atmosphärisch mit den Passagen mitten in der Stadt ein herausragendes Erlebnis“, freut sich Manuel Innerhofer bereits jetzt auf den Abschluss der WM. Für den Auftakt am Mittwoch hält er die Erwartungshaltung etwas zurück, der Vertical-Kurs sei für seine Stärke an einigen Stellen recht steil: „Ich nehme mir vor, konservativ ins Rennen zu gehen und bei gutem Gefühl ab der Mitte Gas zu geben.“
Unsicherheiten nach Trainingsrückstand
Sein Zwillingsbruder Hans-Peter (LC Oberpinzgau), der ihn bei den Staatsmeisterschaften besiegt hatte, hat sich für ein Antreten im Trailrunning (Short Distance) entschieden, weil er dort bessere Chancen auf ein gutes Abschneiden sieht. Die höheren Umfänge und fleißigen Trainingsaktivitäten durch den Winter und das Frühling haben ihn gepaart mit der Vorfreude auf den Heim-WM-Auftritt auf das höchste Leistungsniveau seiner Laufbahn gebracht – die Staatsmeistertitel im Halbmarathon und Berglauf sind Zeichen dafür.
Manuel hätte in dieselbe Richtung tendiert, zwei Erkrankungen bremsten ihn allerdings im Spätwinter und anbrechenden Frühling in der Vorbereitung aus. Die Zeit für hohe Umfänge für die langen Distanzen wurde knapp, weswegen der 27-Jährige zurückschwenkte und den klassischen Doppelstart in den Berglauf-Wettkämpfen anvisierte. „Es war ein Up and Down, natürlich keine Vorbereitung wie gewünscht. Die letzten zwei Trainingswochen aber sind vielversprechend“, meint Manuel. Aufgrund fehlender Erfahrungswerte zu Saisonbeginn seien die Möglichkeiten schwer einschätzbar, das Gefühl wird von Tag zu Tag besser: „Immerhin kann ich morgen zum ersten Mal in diesem Jahr mit frischen Beinen in den Wettkampf gehen.“ Außerdem darf der Pinzgauer wie alle teilnehmenden Österreicher auf einen Pusch vom Streckenrand hoffen: „Die Vorfreude ist riesig, die Stimmung wird besonders am Samstag grandios – wahrscheinlich der Höhepunkt meiner bisherigen Karriere.“ Auch das mediale Interesse im Vorfeld mit einer Reihe von Interviews motiviert zusätzlich.
Martin Mattle (TrailMotion Tirol), der bei den Berglauf-Staatsmeisterschaften hinter den Pinzgauer Zwillingen die Bronzemedaille gewonnen hatte, Martin Enzensberger (TGW Zehnkampf Union) und Florian Zeisler (IRL-Team Happy Fitness 24h) komplettieren das österreichische Team.
Titelverteidiger dieses Mal gegen das Team aus Uganda
Einer der Favoriten auf die Goldmedaille ist der Kenianer Patrick Kipngeno, der in den letzten beiden Jahren im Weltcup alle wichtigen Rennen für sich entscheiden konnte – und das teilweise deutlich. Da der Berglauf in Kenia aber noch eine junge Disziplin ist, zumindest was die besondere Aufmerksamkeit des nationalen Verbandes betrifft, sind die kenianischen Berglauf-Spezialisten im Augenblick Läufer wie Kipngeno aus dem kenianisch-österreichischen run2gether-Team, die im Ausland den Kontakt mit dieser Disziplin der Leichtathletik intensiviert haben. Daher war Kipngenos Triumph im Uphill-Rennen (so hieß der Vertical bisher) 2022 in Chang-Mai eine Premiere für die Läufernation Kenia.
Eine Premiere mit einem großen Aber: Denn aufgrund eines organisatorischen Fehlverhaltens verpasste das Team aus Uganda den Start beim Uphill Mountain Race und musste zuschauen, wie ihnen die Medaillen durch die Lappen gingen. Auch 2019, als der US-Amerikaner Joseph Gray gewann, war das Team aus Uganda wegen nicht erteilter Visa nicht am Start. Ansonsten dominierte Uganda in den letzten Jahren bei Weltmeisterschaften quasi nach Belieben, 2013, 2014, 2017 und 2018 gingen gar sämtliche Medaillen an das Team. Und im Up & Downhill in Chang-Mai musste Kipngeno tatsächlich Samuel Kibet aus Uganda den Vortritt lassen. Dieses Mal ist Uganda mit einem Trio vertreten: Eliud Cherop, Levi Kiprotich und Dismas Yeko.
Aus europäischer Sicht stellen die Italiener mit dem amtierenden Europameister Cesare Maestri und die Briten namhafte Teams. Für Deutschland sind Filimon Abraham, Julius Ott, Philipp Stuckhardt und Maximilian Zeus morgen am Start. Dem Schweizer Team steht der bei den letzten Europameisterschaften so erfolgreiche Dominik Rolli vor, außerdem sind Daniel Lustenbrger, Jonas Soldini, Fabian Aebersold und Roberto Delorenzi dabei. Weitere prominente Namen sind der Ire Zak Hannah der norwegische Ex-Europameister Johan Bugge, der Slowene Timotej Becan und insbesondere der zweifache US-amerikanische Weltmeister Joseph Gray, der mit Jim Walmsley einen namhaften Teamkollegen im Rennen hat.