Frauen-Wettkämpfe werden weiblicher
Mit neuen Regeln hat der Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) den Schutz der Integrität des Wettkampfs im Frauensport vergrößert. Damit können Transgender-Athletinnen künftig in keiner Leichtathletik-Disziplin mehr in der Frauen-Kategorie an den Start gehen. Für alle anderen gilt eine straffere Testosteron-Grenze. Die sportliche Fairness in der Frauen-Kategorie erhält also höhere Priorität als der Inklusionsgedanke.

Symbolbild. © Unsplash / Jessica Felicio
Am 18. Februar lief Caster Semenya als Schlussläuferin der südafrikanischen Mixed-Staffel bei den Crosslauf-Weltmeisterschaften ihren Kolleginnen aus Kenia, Äthiopien und Australien hinterher und brachte ihr südafrikanisches Team auf dem vierten Platz ins Ziel. Die Bilder der kraftvollen 32-Jährigen mit dem männlich-muskulösen Erscheinungsbild, welches in einem erhöhten Testosteronspiegel begründet ist, welches freilich genetisch bedingt sein mag, gehört ab nun der Vergangenheit an. Athletinnen, unabhängig ihrer Geschlechteridentifikation, sind künftig in allen leichtathletischen Disziplinen nicht mehr startberechtigt, wenn sie einen Wert von 2,5 Nanomol pro Liter übersteigen. Jene, die der männlichen Pubertät zugeschriebenen Prozesse durchgemacht haben, sind kategorisch von Frauen-Wettkämpfen ausgeschlossen – die Regulierung des Testosteron-Spiegels lässt den in diesen Fällen biologischen Vorteil nicht gänzlich reduzieren, wie diverse Studien der letzten Zeit konkludieren.
Verschärfte Regeln und Ausweitung auf alle Disziplinen
Diese Messgröße von 2,5 nmol/L ist noch strenger als die bisherige Regel in den Disziplinen zwischen dem 400m-Sprint und der Meile galt (5,0 nmol/L). Dieser, oft eindirektional als „Lex Semenya“ etwas verunglimpften Ansatz einer aus wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleiteten Regelung, gehört nun ebenfalls der Geschichte an und beendet eine unsägliche Ungleichheit in der Behandlung der Disziplinen, weil World Athletics sich im Herantasten vor fünf Jahren nur zu sektoralen Beschränkungen durchringen konnte. Die straffe Regelung gilt nun für alle Leichtathletinnen gleichermaßen.
Auch der Nachweiszeitraum verdoppelte sich von zwölf auf 24 Monaten. Für alle Athletinnen, die außerhalb der bisher beschränkten Disziplinen an den Start gingen, gibt es eine sechsmonatige Übergangsfrist.
Das biologische Geschlecht ist das oberste Kriterium
Das Foto schlechthin für die Problematik der Chancengleichheit im Frauensport wurde 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio geschossen. Caster Semenya, Francine Niyonsaba und Margaret Wambui erklommen das Stockerl nach einem denkwürdigen Finallauf über 800m. Melissa Bishop, die einen kanadischen Landesrekord lief, die Polin Joanna Jozwik und die Britin Lynsey Sharp, beide mit persönlichen Bestleistungen, mühten sich vergeblich – trotz Top-Leistungen hatten sie keine Chance auf eine Medaille. Im Gegensatz zum afrikanischen Trio können diese drei Athletinnen einen Testosteronwert in einer Größe, die für biologische Weiblichkeit steht, nachweisen und blieben auch in den vergangenen Jahren im 800m-Lauf startberechtigt.
Dieses damalige Ereignis stand sinnbildlich für die Frage, welche Wettbewerbschancen Spitzensportlerinnen ohne (natürlich) erhöhten Testosteronwert haben (künstliches Testosteron ist im Rahmen des WADA-Codes verboten). Nach einigen Jahren haben Sportverbände, angefangen vom Weltschwimmverband (FINA), eine Antwort darauf gefunden, die gerade in heutigen Tendenzen moderner Gesellschaften nicht gänzlich unumstritten ist. Sie stellt das biologische Geschlecht über die Geschlechtsidentifikation, die Fairness im Sport über das Inklusionsbedürfnis. Das, und nur das, ist Grundlage für einen sinnvollen sportlichen Wettkampfgedanken für das weibliche Geschlecht. Wenn der Schutz des Frauensports ein Anliegen ist, wofür es aufgrund seiner Vorbildfunktion für die Rolle der Frau in der (westlichen) Gesellschaft seit mehreren Jahrzehnten starke Argumente gibt. Der Wind im internationalen, professionellen Frauensport hat sich gedreht!
Schutz des Fairnessgebots
Leicht gemacht hat sich der Leichtathletik-Weltverband, der ideologisch insbesondere durch seinen Präsidenten Sebastian Coe, zu diesem Thema starker Wortführer, sich in den letzten Jahren bereits in diese Richtung bewegt hat, die neuen Definitionen nicht gemacht. „Die Entscheidung ist in Konsultation mit vielen Stakeholders, inklusive Mitgliedsverbänden, unseren Athletinnen und Athleten, deren Trainerinnen und Trainer und der Athleten-Kommission genauso wie eine Reihe von Gruppen und Fach-Institutionen inklusive der Experten der UNO sowie des IOC gewachsen“, erklärte der Brite. „Der Großteil sprach sich davon aus, dass Transgender-Athletinnen nicht in der Frauen-Kategorie starten sollten.“
World Athletics beruft sich auf über ein Jahrzehnt interner Forschung und Erkenntnisse über den physischen Vorteil von DSD-Athletinnen, wie intersexuelle Athletinnen genannt werden. Viele glauben, die Erkenntnisse seien nicht ausreichend für so einen drastischen Schritt und fordern weitere Forschung, meinte der Brite. „Entscheidungen sind immer schwierig, wenn um Persönlichkeitsrechte geht“, entgegnet Coe dem. „Wir sind aber überzeugt davon, die Fairness für Athletinnen zu schützen und das ist, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Leitlinie unseres Vorgehens.“ Sollte sich der Wissenstand ändern, würde World Athletics seine Regulären überprüfen.
Schwierige Zukunft für Semenya und Co. im Spitzensport
Leidtragende der neuen Entscheidung sind jene Athletinnen, die ihre körperlichen Vorteile bisher ausspielen konnten. Nach den Konsequenzen u.a. des skizzierten Rio-Podestes wechselten Caster Semenya und Francine Niyonsaba in den Langstreckenlauf. Während die Südafrikanerin keine sportlichen Höchstleistungen mehr zeigte, stieg Niyonsaba bald in die Weltklasse auf. Globale Medaillen gewann sie auch deshalb nicht, weil sie die WM in Oregon 2022 und die Crosslauf-WM 2023 jeweils verletzungsbedingt verpasste.
Eine bekannte Transgender-Athletin ist die 200m-Sprinterin Christina Mboma aus Namibia, Olympia-Silbermedaillengewinnerin von Tokio. Athletinnen mit erhöhtem Testosteronwert haben nun die Möglichkeit, sich medikamentösen Therapien zu unterziehen oder in der männlichen Kategorie antreten, die nun spätestens nach der Übernahme dieser Regelung eigentlich „offene Kategorie“ heißen müsste.
Transgender-Szene äußert große Bedenken
Prominente Transgender-Athletinnen wie Caitlyn Jenner (1976 als Bruce Jenner Olympiasieger im Zehnkampf) oder Transgender-Wissenschaftlerinnen wie Joanna Harper hatten sich in den letzten Monaten und Jahren für strengere Zugangsbeschränkungen zum Frauensport bis hin zum Ausschluss von Transgender-Athletinnen ausgesprochen, um die Fairness aufrecht zu halten. Diverse Gruppen und Institutionen hatten dagegen vor einem kategorischen Ausschluss gewarnt, da diese nicht mit den Menschen- und Gleichheitsrechten von intersexuellen Personen harmonieren würde.
Die britische Nachrichtenagentur Reuters zitierte letzte Woche den australischen Transgender-Läuferin Ricki Coughlan, die befürchtet, dass Transgender-Menschen im Sport nach dieser Entscheidung Hass entgegengebracht werden würde. Hudson Taylor, Gründer und Geschäftsführer der Organisation Athlete Ally, die sich um Gleichheit in der Leichtathletik einsetzt und auch Unterstützung in Rechtsfragen bietet, sieht keine Fairness in der neuen Regelung. „Intersexuelle Frauen werden weiterhin schrecklichen Geschlechtstest-Praktiken und unnötigen medizinischen Eingriffen sowie genderbasierter Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt“, zitiert „Reuters“ seine Bedenken.
World Athletics beruft sich auf das Interesse des Sports und wird laut Medienberichten von mehr als zwei Drittel der Mitgliedsverbände unterstützt.
Neue Regeln gelten ab sofort
Die neuen Regelungen treten mit 31. März in Kraft. Dann dürfen Transgender-Athletinnen und -Athleten, die biologisch zwischen Mann und Frau angesiedelt sind nicht mehr an Wettkämpfen für Frauen teilnehmen, sofern sie Entwicklungen durchgemacht haben, die der männlichen Pubertät zugeschrieben werden. Die Entscheidung über die künftige Vorgangsweise in diesem brennenden Thema traf das World Athletics Council bei seiner letzten Sitzung. Dabei entschied das Council auch, eine Arbeitsgruppe zu installieren, die in den kommenden zwölf Monaten die Aufgabe hat, die Inklusion von Transgender-Athleten in die Leichtathletik zu optimieren.
In den letzten Monaten gab es Gespräche mit vielen wichtigen Institutionen im Sport, darunter dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und Menschenrechtsgruppen, wie World Athletics betont. Diese Gespräche waren Diskussionsgrundlage auf dem Weg zur Entscheidungsfindung. In großen Zügen folgt World Athletics jener Vorgehensweise, die die FINA im vergangenen Sommer etabliert hat.