800m-Weltklassefeld am Abend in Torun
Beim Copernicus Cup in Torun, Station drei der diesjährigen World Athletics Indoor Tour, geht das im bisherigen Jahr am stärksten besetzte 800m-Rennen der Frauen über die Bühne. Die Revanche-Gelüste Keely Hodgkinsons gegen Hallen-Debütantin Mary Moraa, die die Britin vor heimischem Publikum bei den Commonwealth Games besiegte, sind nur ein Höhepunkt des heutigen Abends.

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Dass die Kenianerin ihr im vergangenen Jahr mit einem denkwürdigen Rennen vor heimischem Publikum in Birmingham die Möglichkeit eines Heim-Triumphs bei den Commonwealth Games geklaut hat, dürfte Keely Hodgkinson schwer im Magen gelegen haben. Schließlich war sie bereits gut eine Woche zuvor genervt, als sie bei den Weltmeisterschaften ggen Athing Mu knapp das Nachsehen hatte. Spätestens seit damals ist aus dem Duell um die Nummer eins der Welt zwischen Athing Mu und der Engländerin ein Dreikampf inklusive Mary Moraa geworden. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Weltrangliste: Die wird von Hodgkinson knapp vor Moraa angeführt, Mu lieg vor Hallen-Weltmeisterin Ajee Wilson und hinter der Jamaikanerin Natoya Goule auf Rang vier – wobei Goule im direkten Duell mit den anderen aus der Weltklasse meistens den kürzeren zieht. Dass die 22-jährige Kenianerin nun erstmals überhaupt in ihrer Karriere eine Hallensaison absolviert – und das in einem Jahr ohne Hallen-Weltmeisterschaften, zeigt ihre Ambitionen, auf höchster Wettkampfebene noch besser und erfolgreicher werden zu wollen.
Welteji vor erstem 800m-Topresultat indoor
Die Auflistung zeigt die Qualität des Starterfeldes, auch, weil die Weltranglisten-Sechste Diribe Welteji, die Weltranglisten-Zehnte Anita Horvat und die Weltranglisten-11. Halimah Nakaayi ebenfalls dabei sind. Damit stehen vier WM-Finalistinnen von Oregon am Ablauf. Die junge Äthiopierin kommt aus einem Fettnäpfchen nach Polen. Am Wochenende jubelte sie bei einem 3.000m-Lauf in Val-de-Reuil peinlicherweise eine Runde zu früh und schien auch nicht davon irritiert gewesen, dass sie einen Fabel-Weltrekord aufgestellt hätte, wäre das Rennen tatsächlich bereits beendet gewesen (siehe RunAustria-Bericht). Zwar konnte die Äthiopierin, die schon auf der Bahn saß, das Rennen noch gewinnen, was zeigt, welche Kraftreserven sie bei der brisanten Adrenalinausschüttung noch auf die Bahn bringen konnte.
In Torun gehört die äthiopische WM-Vierte von Oregon 2022 (hinter Hodgkinson und Moraa) zu den Siegkandidatinnen, auch wenn der 800m-Lauf in letzter Zeit nicht ihre einzige Hauptdisziplin war (auch der 1.500m-Lauf) und die ehemalige Junioren-Weltmeisterin in der Halle über diese Distanz noch nie ein Spitzenresultat erreicht hat. Das trifft auf die Slowenin nicht zu, denn diese gewann vor knapp zwei Wochen in Karlsruhe und führt damit die Gesamtwertung der World Athletics Indoor Tour gemeinsam mit Boston-Siegerin Wilson an.
Tsegay nimmt Meilen-Weltrekord ins Visier
Dass sie den Wettkampf gewinnt, steht angesichts der Konkurrenz fast außer Frage. Doch für Gudaf Tsegay steht ohnehin nicht die Platzierung, sondern die Endzeit im Vordergrund. Die 26-jährige Äthiopierin möchte nämlich den Hallen-Weltrekord von Genzebe Dibaba über die Meile verbessern. Dieser liegt jedoch bei einer hochwertigen Zeit von 4:13,31 Minuten und wird seit sieben Jahren von ihrer Landsfrau Genzebe Dibaba gehalten, die nicht weniger als dreieinhalb Sekunden Vorsprung auf die Nächstschnellste der Geschichte hat (US-Rekordhalterin Elinor Purrier-St. Pierre).
Tsegay ist amtierende Weltmeisterin im 5.000m-Lauf und Olympia-Dritte von Tokio über dieselbe Diszilin. Doch die Äthiopierin kommt von der Mittelstrecke, wo sie bereits zwei WM-Medaillen gewonnen hat, darunter die Silberne von Oregon 2022 hinter der übermächtigen Faith Kipyegon. Tsegay ist freilich eine echte Hallen-Spezialistin und auch amtierende Hallen-Weltmeisterin im 1.500m-Lauf – im übrigen in beeindruckenden 3:57,19 Minuten, der fünftschnellsten Hallen-Leistung aller Zeiten. Ein Weltrekordversuch gehört für sie pro Winter praktisch dazu: 2021 verbesserte sie in Liévin den 1.500m-Hallen-Weltrekord von Dibaba auf eine Zeit von 3:53,09 Minuten, 2022 attackierte sie ihre eigene Bestmarke in Torun und markierte die zweitschnellste Marke aller Zeiten. Tsegay hält vier der schnellsten sieben 1.500m-Indoor-Zeiten der Geschichte, Dibaba die anderen drei. Die Meile ist die 26-Jährige in den letzten Jahren nur einmal in der Halle gelaufen: 2022 in Lievin, wo sie aber aufgrund eines Sturzes direkt nach dem Start deutlich hinter dem anvisieren Weltrekord zurückblieb. Dafür gelangen in den letzten Winter-Saisonen auch beeindruckende Leistungen über 800m und 3.000m.
Äthiopischer Dreikampf über 3.000m
Nicht weniger als fünf Laufentscheidungen stehen im Programm des Orlen Copernicus Cup in Torun vor voraussichtlich ausverkauften Tribünen. Neben dem 800m-Lauf der Frauen gibt es auch im 3.000m-Lauf der Frauen und im 1.500m-Lauf der Männer Punkte für die Gesamtwertung. Im 3.000m-Lauf kommt es zur Neuauflage des äthiopischen Duells in Karlsruhe, als Lemlem Hailu, die vor zwei Jahren in Torun gewann, sich knapp gegen Werkuha Getachew durchsetzen konnte. Dieses Mal wird mit Ejgayehu Taye auch eine dritte Äthiopierin um den Sieg mitmischen, sie ist die Hallen-WM-Bronzemedaillengewinnerin von Belgrad 2022. Der Wettkampf wird wahrscheinlich zweigeteilt ablaufen, die besten Europäerinnen im Feld haben nicht das Leistungsvermögen, mit den Weltklasseläuferinnen aus Äthiopien mitzuhalten. Bekannteste Europäerin im Feld ist die Holländerin Maureen Koster, die polnischen Hoffnungen auf eine vordere Platzierung schultert Hindernisläuferin Alicja Konieczek.
Polnische Mittelstreckenläufer mit attraktiver Bewährungschance
Im 1.500m-Lauf ist im ersten vollen Wettkampfjahr ohne die ehemaligen Mittelstreckenstars Marcin Lewandoswki und Adam Kszczot Polens Nummer eins Michal Rozmys einer der Siegkandidaten. Er hat die zweitbeste Vorleistung im Feld, Favorit ist allerdings aufgrund seiner letzten Leistungen der Brite George Mills. Der Sohn des ehemaligen Fußballnationalspielers Danny Mills, ein WM-Teilnehmer 2002, hat in Karlsruhe mit einer frenetischen Leistung in der Schlussrunde in starken 3:35,88 Minuten gewonnen. Ebenfalls zuletzt gut in Form war Azeddine Habz, der mit dem Selbstvertrauen eines überraschenden 800m-Siegs am Wochenende in Gent anreist (siehe RunAustria-Meldung). Trotz der Zugehörigkeit dieser Disziplin zur World Athletics Indoor Tour Gesamtwertung sind auch in Torun keine afrikanischen Spitzenläufer am Start, Freiluft-Weltmeister Jake Wightman ist verletzt und Europameister Jakob Ingebrigtsen legt keinen Fokus auf die World Indoor Tour.
Das Programm der Laufentscheidungen komplettiert der 800m-Lauf der Männer, der bei einem Meeting auf polnischem Boden einfach zum Programm gehören muss. Die Lokalmatadoren Mateusz Borkowski, der zuletzt um die Form kämpfende Hallen-Europameister Patryk Dobek sowie Nachwuchstalent Kacper Lewalski treffen auf ein interessantes Feld mit dem Kenianer Collins Kipruto, Sieger von 2020, den gut in Schuss befindlichen Andreas Kramer aus Schweden, als 13. bestplatzierter aus dem Feld in der Weltrangliste, und Guy Learmonth aus Großbritannien, sowie dem Spanier Adrian Ben und dem italienischen U23-Europameister und EM-Finalisten Simone Barontini. „An Emotionen wird es bei der neunten Auflage des Orlen Copernicus Cups ganz sicher nicht mangeln“, verspricht Meetingdirektor Krzysztof Wolsztynski in polnischen Medien.