Konkret geht es einerseits um die Herabsetzung des Testosteronlevels auf 2,5 Nanomol pro Liter Blut als Zugangsbeschränkung zu Frauen-Wettkämpfen (bisher 5nm) und andererseits um den ausgeweiteten Nachweiszeitum auf zwei Jahre (bisher ein Jahr). Damit würde sich World Athletics an den Regelungen anderer Sportverbände orientieren. Der Vorschlag basiere auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Beobachtungen aus dem Sport, heißt es in einem Statement des Weltverbandes, welches vor einigen Tagen publiziert wurde. „Die Optionen liegen auf den Tisch. Der beste Weg ist es, darüber zu diskutieren und konstruktives Feedback auszuwerten“, heißt es von World Athletics.
Im März soll eine Entscheidung fallen, schrieb die britische Tageszeitung „The Telegraph“, die Einblick in die Dokumente hatte. Ein kompletter Ausschluss sei dagegen kein Thema, im Gegensatz zu manch britischem Sportverband oder dem Weltschwimmverband. Das führte etwa die britische Tageszeitung „The Mirror“ zu folgender, geschärfter Schlagzeile: „Transgender-Athleten bekommen Erlaubnis gegen Frauen anzutreten.“ Die Tür bliebe für sie weiter offen, heißt es dann im Artikel etwas gemäßigter.
Bestehende Leichtathletik-Regeln sind lückenhaft
Die Debatte um Transgender im Spitzensport hat im vergangenen Sommer mit dem entschlossenen Vorstoß des Weltschwimmverbandes (FINA) neue Dynamik aufgenommen, nachdem eine Transgender-Athletin aus den USA, die früher ein Mann war, Ansprüche auf eine Olympia-Teilnahme in Frauen-Bewerben geäußert hatte (siehe RunAustria-Bericht). Der Ausschluss von Transgender-Personen aus der Frauen-Kategorie der FINA, die eine Neueinteilung in die weibliche und offene Leistungsklasse zur Folge hatte, hat einige Kritik hervorgerufen, mit dem Vorwurf dies sei diskriminierend.
WA-Präsident Sebastian Coe liebäugelte damals mit den FINA-Kriterien und nahm sie zum Anlass, die Regeln der Leichtathletik intern ausgiebig zu diskutieren. Außerdem besteht nach wie vor eine große Lücke im Leichtathletik-Programm, denn die gegenwärtigen Transgender-Regeln von World Athletics betreffen lediglich die Disziplinen zwischen dem 400m-Sprint und dem Meilenrennen. Zukünftig soll die Regelung aber für alle Leichtathletik-Bewerbe gelten.
Vorteil durch Testosteron
Rund um die Frage, welchen Platz Transgender-Personen im professionellen Spitzensport bekommen, ist seit Jahren eine polarisierende Debatte mit verhärteten Fronten entstanden. Sebastian Coe beharrt mit seiner Strategie darauf, die Integrität des Frauensports, welche eine unschätzbare Vorbildwirkung für die Gesamtgesellschaft und damit auch für den bewusst-aktiven Lebensstil von Frauen ausstrahlt, zu schützen, indem Athletinnen mit erhöhten Testosteron-Werten (Testosteron ist bekanntermaßen das männliche Sexualhormon) von Frauen-Wettkämpfen ausgeschlossen werden müssten. Damit sei die Fairness im Frauen-Spitzensport mit all seinen Facetten gewährleistet. Die Definitionslinie ergibt sich hierbei durch das biologische Geschlecht.
Doch mit der Vorgeschichte rund um die Niederlage vor dem CAS-Gericht nach dem Einspruch der indischen Sprinterin Dutee Chand, seit neuestem übrigens nach einem positiven Dopingtest von der indischen Anti-Doping-Agentur provisorisch suspendiert, scheint bei World Athletics seit Jahren im Vorgehen die Vorsicht ein hohes Gebot. Besonders in der englischsprachigen Welt scheint sich eine Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Athletinnen zu formieren, die einen kompletten Ausschluss von Transgender-Personen aus dem Frauen-Spitzensport mit steigender Vehemenz befürworten. Denn Testosteron bildet sich in der Pubertät aus und ein höheres Level als laut biologischer Definition bei einer Frau üblich bringt im sportlichen Wettkampf lebenslang Vorteile. Auf Basis dieses Wissens agieren die Sportverbände nun in unterschiedlicher Intensität, nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) ihnen den Ball zugespielt hat.
Wie viel Toleranz und Inklusion verträgt die Integrität des Frauensports?
Die gegenüberliegende Position argumentiert, ein Ausschluss widerspreche den Prinzipien der Chancengleichheit und der Fairness, wie sie in den Menschenrechten dargelegt ist. Sie wünscht sich einen offenen Profisport nach dem Vorbild der offenen Gesellschaft voller Toleranz und gleichmäßiger Rücksichtnahme aller und mahnt den Sport rigoros, hier gesellschaftliche Konventionen und Trends nicht zu missachten. Sie erkennt die Inklusion im Sport und Verhinderung einer Exklusion aus dem Frauensport als richtigen Weg. Für diese Toleranz und Offenheit bildet die Geschlechtsidentifizierung die Definitionslinie.
Da die entscheidende, zu debattierende Frage also nicht lautet, ob eine höherer Testosteronwert Vorteile bei der Leistungsfähigkeit bringt – da geht es Richtung wissenschaftlichen Konsens, sondern ob dieser Vorteil im Sinne der Integrität des Sports erträglich ist, hat die Ankündigung Coes, sich an den Stand der Wissenschaft zu orientieren, offenbar bei vielen ehemaligen und aktiven Leichtathletinnen die Hoffnung genährt, die Leichtathletik würde zu drastischeren Maßnahmen tendieren. Und so kam es, dass viele internationale Medienberichte, darunter aus Großbritannien, auch unter Einbezug von Stimmen aus der Leichtathletik den Eindruck der Enttäuschung vermittelten, obwohl World Athletics einen Fortschritt zu gedenken versucht.