Tadesse Abraham inmitten eines bunten Elitefeldes

Der 40-jährige Schweizer blickt auf eine beeindruckende Wettkampfsaison zurück, in der er Bestleistungen im Halbmarathon und im Marathon erzielte. Die Krönung dessen soll ein guter Auftritt beim New York City Marathon am Sonntag werden. Dort befindet sich der Schweizer als einer von drei prominenten Europäern inmitten eines bunten Elitefelds, das mit Evans Chebet einen klaren Favoriten kennt.

© SIP / Johannes Langer

Eigentlich sind viele Spitzensportler, wenn sie einen Vierer vorne im Alter stehen haben, in Rente. Das gilt selbst für schier ewige Schweizer Sportstars wie Roger Federer. Bei Tadesse Abraham, der mittlerweile fast die Hälfte seiner Lebenszeit in der Alpenrepublik verbracht hat, scheinen die Uhren anders zu ticken. Auf seinen 40. Geburtstag zugehend markierte er beim Zürich Marathon im Frühjahr überraschend einen neuen Schweizer Rekord von 2:06:38 Stunden. Und mit der vollendeten Lebenserfahrung von vier Jahrzehnten gelang ihm im September beim Kopenhagen Halbmarathon sein erster Halbmarathon unter einer Stunde, ein Masters-Weltrekord. Kein Jungbrunnen, sondern akribische Arbeit, konsequente Hochdisziplin und eine besondere Leidenschaft zum Laufen treiben ihn an, berichten jene, die ihn kennen.

RunAustria-TV-Tipp: Der New York City Marathon wird am Sonntag ab 14:30 Uhr live auf Eurosport 2 übertragen. Sind Sie live dabei, sind Sie keinesfalls in einem exklusiven Kreis: Der Broadcast soll schätzungsweise 530 Millionen Menschen in 182 Ländern der Welt erreichen. Erstmals produziert der Broadcaster ESPN die Übertragung übrigens zweisprachig: englisch und spanisch.

Fernziel Olympia

Mit 40 ist Tadesse Abraham nicht nur der erfahrenste, sondern auch der schnellste Tadesse Abraham, den es jemals zu bewundern gab. Und das möchte der Schweizer beim New York City Marathon am kommenden Sonntag mit einem entsprechenden Ergebnis auch demonstrieren. Wie 2017, als er die Ziellinie im Central Park als Fünfter überquerte und damit bester Europäer war. Der Europameister im Halbmarathon von 2016 hat noch große Ziele und daher sieht er den New York City Marathon „nur“ eine Zwischenetappe, wie er zuletzt dem Tagesanzeiger schilderte: „Alles, was ich jetzt mache, gehört schon der Vorbereitung für die Olympischen Spiele 2024.“

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Nageeye hat offene Rechnung mit New York

Gleich drei europäische Topläufer sind im Elitefeld des New York City Marathon und damit mehr als in jedem anderen World Marathon Majors in diesem Herbst, was am erträglicheren Abstand zu den Meisterschaftsmarathons in Eugene und München liegt. Abraham, der für sein Ziel New York City Marathon auf ein Antreten bei den Europameisterschaften in München, wo er vermutlich zum absoluten Favoritenkreis gezählt hätte, verzichtet hat, hat diesen Terminstress nicht. Im Gegenteil zu Daniele Meucci, der den EM-Marathon in München auf Platz 13 beendet hat. Der italienische Routinier weist aber nicht die Leistungsklasse des Schweizers auf.

Schneller als Abraham war zuletzt Abdi Nageeye, der den WM-Marathon bestritten hat. Aber nicht voll, er musste aussteigen. Das war einer der schlechten Momente in den letzten Jahren in der Karriere des 33-Jährigen, ein zweiter enttäuschender war der fünfte Platz im Vorjahr beim New York City Marathon, als er sein Potenzial nicht voll entfalten konnte. Glanzpunkte setzte er dagegen mit der Olympischen Silbermedaille in Sapporo und dem Sieg beim Rotterdam Marathon, als er seinen holländischen Rekord auf eine Zeit von 2:04:56 Stunden senkte.

Tadesse Abraham bei einem Trainingslauf in St. Moritz im Sommer, u.a. mit Peter Herzog. © SIP / Johannes Langer

Titelverteidiger als Außenseiter

Der Favorit auf den Sieg am Sonntag kommt aus Kenia. Es handelt sich dabei nicht um Vorjahressieger Albert Korir, der als Außenseiter ins Rennen geht. Eine derartige Überraschung wie im Vorjahr ist bei einem Rennen mit der Charakteristik des New York City Marathon freilich wahrscheinlicher als anderswo (keine Tempomacher, selektive Strecke), aber einen derartigen Coup zweimal in Folge zu realisieren, wäre eine gewaltige Sensation. Unabhängig vom Fakt, dass das diesjährige Starterfeld qualitativ dem letztjährigen deutlich überlegen ist. Doch der ehemalige VCM-Sieger hat Ambitionen, wie der der kenianischen Tageszeitung „The Star“ verriet: „Ich bin der Titelverteidiger und ich will den Titel verteidigen. Alles kann passieren. Ich habe im Training alles dafür getan.“ Korir ist übrigens auch Titelverteidiger in der World Marathon Majors Gesamtwertung, gewinnen kann er sie in diesem Jahr allerdings nicht mehr, da Eliud Kipchoge uneinholbar vorne liegt (theoretisch könnte Evans Chebet gleichziehen).

Wetter als Kriterium

Evans Chebet, der im Frühjahr den Boston Marathon und 2020 den Valencia Marathon in einer beachtlichen Zeit von 2:03:00 Stunden gewonnen hat, ist der Favorit. Der 33-Jährige trainiert in der Trainingsgruppe von Claudio Berardelli, die im Marathon-Herbst 2022 bei den Männern bisher fast alles abgeräumt hat: Amos Kipruto in London, Benson Kipruto in Chicago. Die Serie könnte Chebet nun beim größten Marathonlauf der Welt fortführen. Er fühle keinen Druck, betonte er Ende September gegenüber der „The Star“. „Ich habe schon bewiesen, starke Konkurrenten zu besiegen. Ich möchte glauben, dass das in New York nicht anders sein wird, auch wenn die Strecke dort richtig schwierig ist. Wenn mein Körper in guter Verfassung ist, wird das ein gutes Rennen.“ Was gut bedeutet, erklärte er eine Aussage später: Der Streckenrekord von Geoffrey Mutai aus dem Jahr 2011 soll fallen – dafür gilt es eine Zeit von 2:05:06 Stunden zu unterbieten. „Dafür brauche ich günstige Wetterbedingungen“, so der Boston-Sieger.

Zwei wichtige Gedanken zu Chebets Favoritenrolle: Gewinnen er oder Korir, hätten kenianische Athleten alle sechs World Marathon Majors in diesem Jahr für sich entschieden, was es seit dem Zugang von Tokio im Jahr 2013 noch nie gegeben hat. Und der Streckenrekord wird angesichts der Wetterprognose wohl nicht fallen, es wird am Sonntag nämlich ziemlich warm in New York. Bereits in den Morgenstunden zur Startzeit soll es fast 20°C. haben.

Das Elitefeld beim New York City Marathon 2022 der Männer (Auswahl)

  • Evans Chebet (KEN) – 2:03:00 Stunden
  • Shura Kitata (ETH) – 2:04:49 Stunden
  • Daniel Do Nascimento (BRA) – 2:04:51 Stunden – Südamerika-Rekordhalter
  • Abdi Nageeye (NED) – 2:04:56 Stunden – holländischer Rekordhalter
  • Suguru Osako (JPN) – 2:05:29 Stunden
  • Galen Rupp (USA) – 2:06:07 Stunden
  • Tadesse Abraham (SUI) – 2:06:38 Stunden – Schweizer Rekordhalter
  • Mohamed El Aaraby (MAR) – 2:06:55 Stunden
  • Olivier Irabaruta (BDI) – 2:07:13 Stunden
  • Tetsuya Yoroizaka (JPN) – 2:07:55 Stunden
  • Leonard Korir (USA) – 2:07:56 Stunden
  • Albert Korir (KEN) – 2:08:03 Stunden – Vorjahressieger

Kitata einziger Äthiopier im Elitefeld

Vier Läufer stehen im Feld des New York City Marathon mit Bestleistungen unter 2:05 Stunden, aufgrund der Charakteristik am „Big Apple“ kein so treffender Indikator wie bei anderen Marathons. Die äthiopischen Trümpfe hält Shura Kitata in der Hand, der 2020 den London Marathon gewonnen und gute Erfahrungen an den Marathon in New York hat. 2018 war er Zweiter hinter Lelisa Desisa. Nach seiner verletzungsbedingten Absage des London Marathon hatte man in New York auch Hoffnung, den amtierenden Weltmeister Tamirat Tola zu verpflichten. Doch dessen Entscheidung, vier Wochen später in Valencia an den Start zu gehen, ist ein weiterer Beleg, dass der enorm gewachsene Marathon in Spanien längst im Athletenpool der World Marathon Majors fischt.

Auch Südamerikarekordhalter Daniel Do Nascimento ist schon einmal unter 2:05 Stunden gelaufen und zwar beim ultraschnellen Marathon in Seoul im April. Der 24-jährige, in Kenia lebende Brasilianer ist mit fünf absolvierten Marathons (inklusive dem Olympischen in Sapporo, den er aufgab) noch recht unerfahren, bei den Weltmeisterschaften gelang ihm ein beachtlicher achter Platz. Brasilianische Laufstars haben etwas Tradition beim New York City Marathon, Marilson dos Santos triumphierte in den Jahren 2006 und 2008.

Rupp mit New-York-Debüt

Das bunte Elitefeld in New York komplettieren der marokkanische Vorjahres-Zweite Mohamed El Aarabi, Olivier Irabaruta aus Burundi und der ehemalige japanische Rekordhalter Suguru Osako, der nach einem guten Auftritt bei den Olympischen Spielen eigentlich seine Karriere beendete. Doch der 31-jährige Olympia-Sechste von Sapporo kehrte alsbald ins Training und beim Great North Run im September mit Rang vier ins Wettkampfgeschehen zurück, stieg aber beim Chicago Marathon vor vier Wochen aus. New York bietet ihm eine zweite Chance.

Traditionell starten beim New York City Marathon etliche schnelle US-Läufer, dieses Mal sind gleich die beiden schnellsten der letzten Zeit am Start: Galen Rupp und Leonard Korir. Der bereits 36-jährige Rupp blickt auf eine missliche Saison zurück, in der Verletzungen und eine COVID-19-Infektion jeweils zur ungünstigen Zeit kamen und ihn damit auf dem Weg zur Heim-WM in Oregon ordentlich einbremsten. Der New York City Marathon soll eine Trendwende einleiten. „Ich freue mich wirklich sehr auf meinen ersten Auftritt beim New York City Marathon“, so der US-Amerikaner, der in den letzten Jahren immer in Chicago gelaufen ist. Die Bedeutung des größten Marathons an der Welt ist ihm bewusst: „Hier zu gewinnen, das wäre weit über meinen Siegen in Prag und Chicago oder der Olympia-Bronzemedaille von Rio zu stellen.“ Der 35-jährige Korir geht in seinen erst dritten Marathon, dem ersten seit dem knapp verpassten Olympia-Startplatz bei den Trials im Februar 2020.

Weitere bekannte US-Amerikaner im Rennen sind Elkanah Kibet, im letzten Jahr bester Amerikaner in New York, Scott Fauble, der Vorjahres-Siebte Ben True, Jared Ward, der bereits 45-jährige Abdi Abdirahman, der bereits zum neunten Mal in New York startet, und Shadrack Kipchichir, der sein Marahton-Debüt gibt. Er wolle endlich Teil der Atmosphäre der Marathon-Community sein, sagte Kipchirchir gegenüber „Runner’s World“.

Gewohnte Größe

Traditionell begeben sich auch heuer wieder Prominente und Stars aus allen möglichen Sparten in das rund 50.000 Teilnehmer zählende Feld. Der Bekannteste ist wohl Schauspieler Ashton Kutcher, der für ein Charity-Projekt sein Marathon-Debüt gibt und in der Vorbereitung einige Kilo abgespeckt haben soll.

TCS New York City Marathon

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