Es hätte seine Bühne werden sollen, der Marathon in der Hauptstadt. Doch am Mittwoch erreichte die Öffentlichkeit die Gewissheit, dass Mo Farah am Sonntag nicht an den Start geht. Tagelange Schmerzen in der rechten Hüfte verhindern einen Fitnesszustand, der ein Antreten voraussetzt. „Wir haben die Schmerzen so gut behandelt wie es ging. Die Fortschritte waren zu klein“, erklärte er und trauerte: „Ich habe in den letzten Monaten wirklich hart trainiert, um wieder in Form zu kommen. Eigentlich war ich optimistisch, diese Arbeit in einen guten Wettkampf umzumünzen. Ich bin richtig enttäuscht, ich liebe es vor dem Heimpublikum in London zu laufen.“
„The Real Mo Farah“
Der London Marathon 2022 wäre wohl – offiziell kommuniziert wurde es nie – als zweiter Schritt des sanften Ausstiegs aus dem Spitzensport in einem würdigen Rahmen gewesen. Den ersten Schritt, seine sportliche Karriere sauber abzuschließen, war ein für ihn sehr wichtiger, den er bereits Mitte Juli gesetzt hat: Er erzählte der Öffentlichkeit seine wahre Lebensgeschichte, die verborgen geblieben war (siehe RunAustria-Bericht). Er tat das im Rahmen einer BBC-Dokumentation mit dem Titel „The Real Mo Farah“.
Sein richtiger Name ist Hussein Abdi Kahin, er kam im Rahmen eines illegalen Menschenhandels als Kind in Großbritannien an und musste bei einer Familie Kinderarbeit verrichten, den oft zitierten in London lebenden Vater gab es nie. Das Laufen half ihm über sehr traurige Jahre, die er lange Zeit zu verdrängen versucht hat. Dank der Unterstützung eines Sportlehrers fand er in den Laufsport und konnte folglich sichere Tritte in der britischen Gesellschaft setzen. Heute lebt der vierfache Olympiasieger als Vorbild und Inspiration vieler gemeinsam mit seiner Ehefrau Tania und seinen drei Kindern in der Hauptstadt.
„Die Türen bleiben offen“
Nicht jedem gefällt der Gedanke, dass jener Mann, der den britischen Laufsport so lange geprägt und den europäischen Laufsport konkurrenzfähig gehalten hat, den Spitzensport verlassen könnte. Schon vor Monaten kommunizierte man beim London Marathon die Hoffnung, den dann 40-Jährigen beim Marathon im April 2023 neuerlich an der Startlinie begrüßen zu dürfen. „Die Türen werden für Mo immer offen sein“, sagte Renndirektor Hugh Brasher, der öffentlich hoffte, der britische Star würde sich von der Leistung Eliud Kipchoges in Berlin inspirieren lassen. „Ich würde Mo noch nicht abschreiben und hoffe, dass er am Sonntag fantastisch läuft“, so Brasher, bevor der Startverzicht bekannt war.
Nun stehen die Zeichen tatsächlich besser, dass Mo Farah einen weiteren Marathon-Aufbau in Angriff und den London Marathon 2023 ins Visier nimmt. Eine Alternative wäre eine, die weder ihm noch den Laufsport zu wünschen wäre – ein Abgang ohne finales Hurra!
Sportliche Enttäuschungen in den letzten Jahren
Es ist freilich unübersehbar, dass Mo Farah, strikt auf seinen 40er zugehend, nicht mehr so leistungsfähig ist wie Mitte des letzten Jahrzehnts. Zuletzt gab es Niederlagen wie jene gegen Ellis Cross beim Vitality 10,000 in London im Mai, die ihm früher niemals passiert wären. „Ich bin immer noch hungrig, habe immer noch Kampfgeist im Training und im Wettkampf“, hatte er der britischen Tageszeitung „The Guardian“ (6. Juli) gesagt, als sein London-Start bekannt wurde. Fragen zu seiner körperlichen Fitness blockte er ab: „Ich werde alles geben und sehen, was passiert.“
Farah wechselte 2017 nach acht Jahren im Nike Oregon Project unter Alberto Salazar aus den USA zurück nach London und startete mit Gary Lough, Ehemann von Marathon-Europarekordhalterin Paula Radcliffe, in seine Marathon-Karriere. Dem Europarekord in Chicago 2018 (2:05:11 Stunden) folgten aber Enttäuschungen sowohl im Straßenlauf als bei seinen letztlich etwas kläglichen Versuchen, sich für die Olympischen Spiele und Weltmeisterschaften im 10.000m-Lauf von Tokio bzw. Eugene zu qualifizieren.
TCS London Marathon