Kenias Mittelstreckler räumen in Zürich ab
Drei der vier Diamond-League-Gesamtsiege auf den Mittelstrecken gingen an kenianische Läuferinnen und Läufer. Ein Statement konnten die 800m-Stars Emmanuel Korir und Mary Moraa setzen. Nur Jakob Ingebrigtsen blieb im 1.500m-Lauf unangetastet.

© Open Clipart Vectors / Pixabay
Mit einem dramatischen Zieleinlauf hat der 800m-Lauf beim Diamond-League-Finale im Zürcher Letzigrund sein Saisonhighlight erlebt. Mit Sieben-Meilen-Stiefeln und unruhigem Oberkörper kämpfte sich Emmanuel Korir mit den letzten Schritten nicht nur am zwischenzeitlich deutlich führenden Marco Arop heran, sondern zog mit den letzten Atemzügen der Saison noch an ihm vorbei. „Ich hätte nicht gedacht, dass es noch für mich reicht. Eigentlich hoffte ich nur mehr, Zweiter zu werden“, sagte er nachher. Zur Belohnung gab es ein Preisgeld von 30.000 US-Dollar (entspricht fast 30.000 Euro), der Unterschied zwischen Platz eins und Platz zwei betrug immerhin 18.000 US-Dollar. Korir ist der Champ im 800m-Lauf: Olympiasieger, Weltmeister und nun zum dritten Mal nach 2018 und 2021 Diamond-League-Gesamtsieger.
Weltjahresbestleistung so langsam wie seit 15 Jahren nicht
Dank seines schier unbändigen Willen verbesserte der 27-Jährige bei optimalen Laufbedingungen sogar noch die Weltjahresbestleistung auf eine Zeit von 1:43,26 Minuten, was aber nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass der 800m-Lauf ein Jahr ohne internationale Topzeiten erlebt. Zuletzt war die Weltjahresbestleistung am Saisonende im Jahr 2007 schwächer, es ist die drittlangsamste im laufenden Jahrhundert. Korir könnte zum dritten Mal nach 2017 und 2018 die Saison als schnellster 800m-Läufer beenden, wenn bei den letzten Meetings in den kommenden Tagen keine Sensation passiert.
Arop, der auf der Gegengerade der letzten Runde mit einer abrupten Verschärfung attackiert hatte, hatte eingangs und ausgangs der letzten Kurve noch über eine halbe Sekunde Vorsprung auf den späteren Sieger. Er musste sich mit Rang zwei und einer Saisonbestleistung (1:43,38) zufrieden geben. Jake Wightman beendete das Rennen in 1:44,10 Minuten als Dritter vor Commonwealth-Champion Wyclife Kinyamal. Der zur Halbzeit noch zweitplatzierte Gabriel Tual wurde Siebter.
Ingebrigtsen festigt Nummer eins Status
Die Saison 2022 wird als erste in der Karriere des europäischen Ausnahmeläufers Jakob Ingebrigtsen eingehen, in der er die Szene im 1.500m-Lauf dominiert hat. Dies steht zwar im Widerspruch seines Abschneidens bei den globalen Meisterschaften, denn während er im letzten Jahr in Tokio Olympiasieger wurde, musste er sich in diesem Jahr in Oregon mit der Silbermedaille zufrieden geben. Letztes Jahr gewann er zwar seine ersten beiden Diamond-League-Rennen, beendete zwei weitere aber nicht auf Platz eins. 2022 blieb er ungeschlagen und holte sich folgerichtig erstmals die Diamond-League-Gesamtwertung inklusive des lukrativen Preisgelds. 2021 war Timothy Cheruiyot der Weltjahresschnellste, wenngleich Jakob Ingebrigtsen in Tokio seinen immer noch gültigen Europarekord markierte. 2022 holte sich der Norweger im letzten Atemzug die Weltjahresbestleistung von Weltmeister Jake Wightman. Dafür markierte er im Letzigrund von Zürich eine Zeit von 3:29,02 Minuten (Schlussrunde unter 55 Sekunden).
Freude auf Saisonpause
Die wichtigsten Wünsche sind also für den bald 22-Jährigen in Erfüllung gegangen, kein Wunder, dass er von einem „guten Diamond-League-Finale“ sprach. Sein schnellstes Saisonrennen war das Produkt einer engagierten Tempomacher-Leistung durch Matthew Ramsden und der unwiderstehlichen Fortsetzung dessen durch Ingebrigtsen, der in der letzten Kurve das Tempo höher halten konnte als sein schärfster Verfolger, Timothy Cheruiyot, der bis 150 Meter vor dem Ende hartnäckig an den Fersen seines Kontrahenten hielt. Insgesamt zog der zweifache Europameister und 5.000m-Weltmeister eine positive Saisonbilanz: „Ich wäre gerne mehr Rennen gelaufen, aber durch de Anhäufung von Meisterschaftsrennen war es wichtig, die Trainingsbasis dafür zu erschaffen. Ich habe einige richtig gute Rennen bestritten, so wie heute. Nun brauche ich ein paar Wochen Regenerationspause, physisch und auch mental. Und nächstes Jahr will ich stärker zurückkommen und vielleicht auch schnellere Zeiten laufen.“
Und so war dieser Abend auch für den Kenianer, selbst wenn er seine Saisonbestleistung von den Commonwealth Games, als er Silber hinter Oliver Hoare gewann, um sechs Hundertstelsekunden verpasste, ein versöhnlicher Abschluss einer für seine Verhältnisse katastrophalen Saison. Kein Sieg auf internationalem Terrain, keine Medaille bei der WM, selbst bei den nationalen Meisterschaften besiegt. Noch im letzten Jahr gewann er die Diamond-League-Gesamtwertung inklusive vier der Einzelsiege, obwohl er bereits 2021 nicht verletzungsfrei war. Von den Zeiten, als Niederlagen maximal einmal pro Jahr passierten, war der 26-Jährige 2022 weit entfernt. Im Gegensatz zu den Commonwealth Games blieb Hoare dieses Mal hinter ihm, doch der Schlussspurt des Australiers war erneut furios. Von Platz fünf aus überholte er noch Josh Kerr und Abel Kipsang, um in 3:30,59 Minuten Dritter zu werden. Weiter nach vorne ging es für den 25-Jährigen deshalb nicht, weil Kipsang zuvor eine Lücke zu seinem Landsmann reißen musste.
Kipyegon auch in langsamen Rennen überlegen
Während der 1.500m-Lauf der Männer ziemlich flott war, entwickelte sich im 1.500m-Lauf der Frauen ein angesichts der hochkarätigen Besetzung unerwartet langsames Rennen. Keine der Favoritinnen wollte das Tempo der US-amerikanischen Tempomacherin Allie Wilson, eine Top-800m-Läuferin aufnehmen. Faith Kipyegon, die die Szene über diese Distanz dominiert, bei Diamond-League-Auftritten seit über einem Jahr ungeschlagen ist und insbesondere in schnellen Rennen unschlagbar scheint, zeigte in Zürich, dass sie auch langsame Rennen für sich entscheiden kann. Die Durchgangszeit des Feldes bei 800m betrug eine Zeit von 2:13 Minuten für die spätere Siegerin, die zu diesem Zeitpunkt zwei Sekunden hinter der Tempomacherin auf Platz zwei lag.
So musste die letzte Runde die Entscheidung bringen, als bereits gesichert war, dass sub-4-Leistungen an diesem Abend ausbleiben mussten. Die Kenianerin lief von vorne mit Muir und Mageean an ihren Fersen. Außen versuchte Freweyni Hailu neben Kipyegon zu laufen, doch die Olympiasiegerin und Weltmeisterin war in der letzten Runde unfassbar stark und dominierte das Finale förmlich, eine Rundenzeit unter 58 Sekunden. „Das war ein wirklich starkes Feld. Es war eine lange Saison und meine Beine waren müde, aber der Gedanke daran, dass dies der letzte Wettkampf des Jahres ist, hat mich noch einmal alles aus mich herausholen lassen. Ich habe es genossen“, kommentierte die Siegerin nach dem Rennen gegenüber dem Veranstalter. Auch wenn die Zeit von 4:00,44 Minuten aufgrund der Renncharakteristik zu vernachlässigen war, eine langsamere Zeit lief die 28-Jährige, Meisterschaftsrennen und deren Vorläufe sowie Wettkämpfe in der Höhe von Nairobi ausgeklammert, zuletzt übrigens vor sechs Jahren, ebenfalls im Letzigrund. Kipyegon ist nun dreifache Gesamtsiegerin in der wichtigsten Meetingserie der Welt.
WM-Medaillengewinnerinnen geschlagen
Ihre starke gegenwärtige Verfassung brachte die irische Brüssel-Siegerin Ciara Mageean auch zum Diamond-League-Finale, das sie mit einem Respektabstand von fünfviertel Sekunden auf Kipyegon als Zweite beendete – knapp vor den Äthiopierinnen Hailu und Welteji. In irischen Medienberichten zeigte sie sich sechs Tage nach ihrem fulminanten irischen Rekord in Brüssel hochzufrieden. Die WM-Medaillengewinnerinnen Laura Muir und Gudaf Tsegay mussten sich mit den Rängen fünf und sechs zufrieden geben, auch die zuletzt starke Heather MacLean konnte als Siebte die Gunst der Stunde nicht für ein Top-Resultat nutzen. Keine Chance hatte die zweifache Saisonsiegerin Hirut Meshesha, die im Laufe des Sommers kontinuierlich abgebaut hat. Sie verzeichnete die langsamste Schlussrunde aller und fiel von Platz zwei bei der Glocke auf Rang neun ausgangs der darauffolgenden Kurve zurück.
Moraa mit starkem Saisonfinale
Eine kleine Überraschung produzierte der 800m-Lauf der Frauen in Abwesenheit von Weltmeisterin Athing Mu, die sich aufgrund ihrer Wettkampfplanung nicht für das Diamond-League-Finale qualifiziert hatte. Denn Vize-Weltmeisterin und Europameisterin Keely Hodgkinson präsentierte sich in Zürich nach einem langen und intensiven Wettkampfsommer nicht mehr in absoluter Topverfassung, wodurch sie ihren Gesamtsieg aus dem letzten Jahr nicht wiederholen konnte. Und so hatte Mary Moraa, die je länger die Saison dauert immer bessere Leistungen abrufen kann, keine wirkliche Kontrahentin. Sie gewann eingangs der letzten Kurve das Duell um die Fühung gegen die US-Amerikanerin Sage Hurta und hielt im Finale die endschnelle Natoya Goule auf Distanz. Die Siegerzeit beim ersten Diamond-League-Gesamtsieg der Kenianerin lag aufgrund einer zweiten Runde in ziemlich genau einer Minute noch bei einer Zeit von 1:57,63 Minuten. Das von Moraa angeführte Feld hatte nämlich das Tempo der US-amerikanischen Pacemakerin Olivia Baker von unter 56 Sekunden für die erste Runde nicht aufgenommen.
Moraa blieb gleich auf der Laufbahn und freute sich Minuten später mit ihrem Landsmann Emmanuel Korir, mit dem sie manchmal gemeinsam trainiert, über dessen Erfolg: „Ich freue mich für ihn und für mich.“ Auch Goule blieb unter 1:58 Minuten und platzierte sich so gut wie noch nie in dieser Diamond-League-Saison. Hurta markierte den zweiten Stockerplatz nach Schlesien. Hodgkinson musste sich in einer Zeit von 1:59,06 Minuten – über 1:59 war die 20-Jährige abseits von Meisterschaftsrennen zuletzt vor fast eineinhalb Jahren geblieben, mit Platz fünf hinter der ehemaligen Weltmeisterin Halimah Nakaayi zufrieden geben, war aber immer noch beste Europäerin vor Anita Horvat, Rénelle Lamote, Lore Hoffmann und Elena Bellò.
Ergebnisse Mittelstreckenbewerbe, Weltklasse Zürich 2022
1.500m-Lauf der Männer
- Jakob Ingebrigtsen (NOR) 3:29,02 Minuten *
- Timothy Cheruiyot (KEN) 3:30,27 Minuten
- Oliver Hoare (AUS) 3:30,59 Minuten
- Abel Kipsang (KEN) 3:31,36 Minuten
- Stewart McSweyn (AUS) 3:31,45 Minuten
- Josh Kerr (GBR) 3:31,85 Minuten
- Charles Grethen (LUX) 3:33,16 Minuten **
- Abdellatif Sadiki (MAR) 3:34,12 Minuten
- Jake Heyward (GBR) 3:34,27 Minuten
- Michael Rozmys (POL) 3:34,80 Minuten
1.500m-Lauf der Frauen
- Faith Kipyegon (KEN) 4:00,44 Minuten
- Ciara Mageean (IRE) 4:01,68 Minuten
- Freweyni Hailu (ETH) 4:01,73 Minuten
- Diribe Welteji (ETH) 4:01,79 Minuten
- Laura Muir (GBR) 4:02,31 Minuten
- Gudaf Tsegay (ETH) 4:02,41 Minuten
- Heather MacLean (USA) 4:02,90 Minuten
- Cory Ann McGee (ETH) 4:04,63 Minuten
- Axumawit Embaye (ETH) 4:05,91 Minuten
- Hirut Meshesha (ETH) 4:06,28 Minuten
800m-Lauf der Männer
- Emmanuel Korir (KEN) 1:43,26 Minuten *
- Marco Arop (CAN) 1:43,38 Minuten **
- Jake Wightman (GBR) 1:44,10 Minuten
- Wyclife Kinyamal (KEN) 1:44,47 Minuten
- Bryce Hoppel (USA) 1:44,77 Minuten
- Andreas Kramer (SWE) 1:44,94 Minuten
- Gabriel Tual (FRA) 1:45,25 Minuten
- Benjamin Robert (FRA) 1:48,11 Minuten
800m-Lauf der Frauen
- Mary Moraa (KEN) 1:57,63 Minuten
- Natoya Goule (JAM) 1:57,85 Minuten
- Sage Hurta (USA) 1:58,47 Minuten
- Halimah Nakaayi (UGA) 1:58,82 Minuten
- Keely Hodgkinson (GBR) 1:59,06 Minuten
- Anita Horvat (SLO) 1:59,25 Minuten
- Rénelle Lamote (FRA) 1:59,38 Minuten
- Lore Hoffmann (SUI) 1:59,69 Minuten
- Elena Bellò (ITA) 2:00,24 Minuten
* neue Weltjahresbestleistung
** neue Saisonbestleistung