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In einem fast erwartet schnellen 10.000m-Rennen konnte Julia Mayer nur etwa 3,5 Kilometer ihre gewünschte Pace halten und musste sich etliche Runden als Solistin ins Ziel kämpfen, das sie abgeschlagen erreichte. An der Spitze feierte Yasemin Can ihren zweiten EM-Titel nach 2016, in dem sie Eilish McColgan und Titelverteidigerin Lonah Chemtai Salpeter keine Chance ließ.
„Es war sich mein bester Tag und ich hatte heute nicht die besten Beine“, musste Julia Mayer (DSG Wien) in einer Stellungnahme, die via Aussendung des Österreichischen Leichtathletik-Verbands (ÖLV) veröffentlicht wurde, etwas resignierend feststellen. Es war wahrlich keine leichte Aufgabe, die sich ihr als Athleten mit der schwächsten persönlichen Bestleistung im gesamten Feld in den Weg stellte. Sie ordnete sich wie angekündigt gleich am Ende des Feldes ein. Bescherte ihr der erste Kilometer in einer Zeit von 3:15,54 Minuten noch etwa das Tempo, das sie sich nach einer gelungenen Vorbereitung zugetraut hätte (hochgerechnet wäre das eine deutliche persönliche Bestleistung gewesen, Anm.), forderte sie der zweite Kilometer in annähernd 3:10 Minuten schon so stark, dass sie auf der zweiten Rennhälfte die Quittung dafür bekam. „Das Niveau in Europa ist enorm stark“, betonte sie. Es war kein klassisches Überpowern, die Niederösterreicherin folgte einfach dem hinteren Teil des Feldes. Das hatte das Tempo verschärft, weil vorne früh Eilish McColgan das Kommando übernahm und Kilometerzeiten von 3:02, 3:01 und 3:02 Minuten lief – auf eine Art und Weise, wie sie halt gerne tut.
* neue Saisonbestleistung
** neuer israelischer Landesrekord
*** neue persönliche Bestleistung
Beste heimische EM-Platzierung im 10.000m-Lauf der Frauen
Nach einem dritten Kilometer in 3:17 folgte noch ein vierter in 3:20 für die Österreicherin, doch zu diesem Zeitpunkt war der schwierige zweite Teil schon in Stein gemeißelt. Denn nach rund 3,5 Kilometern konnte Mayer das Tempo der bis dato siebenköpfigen Gruppe jenseits der Top-Ten nicht mehr halten und lief die Restdistanz widerwillig als Solistin, wobei sie von der überlegenen Siegerin zweimal überrundet wurde. Die Tempogestaltung McColgans, die bereits nach nicht einmal einem Fünftel der Renndistanz eine Vierergruppe für den Kampf um Edelmetall kreierte, zeigte schonungslos auf, welch große Leistungsunterschiede in diesem Feld herrschten. Das liegt großteils auch daran, dass Europas Spitze näher an die Weltspitze herangerückt ist. Das stellte die Elite an diesem Abend unter Beweis: Commonwealth-Champion McColgan, deren Mutter Liz 1991 Weltmeisterin über diese Distanz war, die aus der Kenia stammenden Yasemin Can für die Türkei und die ebenfalls in Kenia geborene Lonah Chemtai Salpeter, die nun seit fast 15 Jahren in Israel lebt, sowie das deutsche Ausnahmetalent Konstanze Klosterhalfen.
Am anderen Pol pendelte das Tempo von Mayer sich bei Kilometersplits von knapp über 3:30 Minuten ein, es ging konstant bis ins Ziel mit einem etwas besseren letzten Kilometer. Bereits zur Halbzeit stand fest, dass eine persönliche Bestleistung außer Reichweite war. In diesen schwierigen Minuten half das Publikum. „Die Stimmung war toll, natürlich war ich motiviert, meinen Fans und meiner Familie etwas zu bieten. Ich habe auch immer wieder gehört, wie mein Name skandiert wurde – das hat sich super angefühlt“, berichtete die Österreicherin. Trotz ihrer 29 Jahre ist die Quereinsteigerin gerade auf dem internationalen Parkett noch unerfahren, der EM-Start war eine herausragende Erfahrung in ihrer bisherigen Laufkarriere. Und so blieb am Ende, das in einer Zeit von 33:57,29 Minuten statistisch amtlich war, der berechtigte Stolz über den erfolgreichen Qualifikationsprozess, der ebenfalls keine leichte Aufgabe darstellte. Und eine neue nationale Bestleistung als Randnotiz: Noch nie hat eine österreichische Läuferin einen 10.000m-Lauf bei einer EM gefinisht, wie das „lebende Leichtathletik-Lexikon“ Olaf Brockmann, im Olympiastadion von München sitzend, über seine Kanäle berichtet.
Nur 18 der auf der Entry List stehenden 21 Läuferinnen starteten am späten Montagabend bei stimmungsvoller Atmosphäre, aber deutlich höheren Temperaturen als etwa zur Mittagszeit bei den Marathonläufen, nämlich rund 27°C, in die längste Laufdistanz auf der Bahn. Nur zweimal in der EM-Geschichte war das Feld in dieser Disziplin, die seit 1986 im Programm steht, kleiner: 2012 in Helsinki wenige Wochen vor den Olympischen Spielen mit 16, 1998 in Budapest mit 17 Teilnehmerinnen. Auch 2010 und 2016 zählte die Statistik 18 Starterinnen. Prominenteste Abwesende war die norwegische Mitfavoritin Karoline Bjerkeli Grövdal, die mit Rückenschmerzen die Segel strichen musste. Die norwegische Tageszeitung VG zitierte den Mannschaftsarzt, der von plötzlich auftretenden Problemen vor einigen Tagen berichtete. Heute will der Verband informieren, ob die 32-Jährige am Donnerstag den 5.000m-Lauf bestreiten kann.
Nach einer übersichtlichen Einstimmungsphase begann früh das hohe Tempo von McColgan. Can, Klosterhalfen und Salpeter folgten ihr, Landsfrau Jessica Judd musste bald abreißen lassen. Die WM-Elfte aus England erwischte einen Tag zu Vergessen und wurde schließlich sogar überrundet. Auch Alina Reh, Bronzemedaillengewinnerin von Berlin 2018, fand sich rasch in der Verfolgergruppe wieder und absolvierte praktisch den gesamten Lauf auf dem achten Platz – inklusive einer kurzen Gehpause aufgrund von Krämpfen in der Bauchgegend. „Vor heimischen Fans konnte ich den Wettkampf nicht aufgeben, nicht hier bei der EM in München. Ich habe mich durchgekämpft, es ist immer noch das Highlight des Jahres für mich“, sagte die 25-Jährige, die auch nüchtern zugab: „Ich muss intensiver an meiner Ernährung arbeiten.“ Als Letzte fiel SelamawitTeferi, dessen Ehemann Maru im Marathon EM-Silber geholt hat, aus der Spitzengruppe zurück und wurde am Ende in ihrem besten Wettkampf der Saison Fünfte.
Vorne änderte sich wenig im Rennverlauf, McColgan führte die Gruppe in einem nach wie vor flotten Tempo von 3:03 Minuten pro Kilometer durch das Stadion. „Es waren harte, es waren verrückte Wochen. Ich bin stolz auf meine Performance und kann mich nicht beschweren. Ich habe ein hohes Tempo gewählt und gehofft, dass ich mich absetzen könnte“, erzählte die Schottin nach dem Rennen. Binnen fünf Wochen hat sie nun drei Meisterschaftsrennen über 10.000m bestritten und bisher zwei über 5.000m. Nach dem eindrucksvollen Sieg bei den Commonwealth Games über die längere Distanz und der Silbermedaille über die kürzere der beiden Langdistanzen gewann die Britin ihre zweite EM-Silbermedaille nach jener über 5.000m von Berlin 2018. „Natürlich hätte ich es geliebt, Europameisterin zu sein. Aber ich bin stolz auf Silber“, so McColgan.
Nur der Attacke der Türkin Can nach rund 7.200 Metern hatte die Schottin nichts entgegenzusetzen. „Sie war viel zu stark heute, sie hat es sich ihr als verdient“, gab die 31-Jährige zu. Can beschleunigte auf eine Kilometerteilzeit von 2:55 Minuten und hatte rasch einen Vorsprung von 20 Metern auf das Duo McColgan und Salpeter, Klosterhalfen konnte das Tempo nicht halten und fiel auf Platz vier zurück. Während der Abstand vorne immer größer wurde und Can zum überlegenen Sieg in einer tollen Zeit von 30:32,57 Minuten stürmte – ihrer zweitschnellsten Karrierezeit hinter ihrer Leistung bei Platz sieben im Olympischen Rennen von 2016 und die viertschnellste Siegerzeit der EM-Geschichte, musste nur noch die Frage über die Silbermedaille geklärt werden. McColgan attackierte in der Schlussrunde und setzte sich von der Titelverteidigerin ab, die nur vier Wochen nach ihrem dritten Platz im WM-Marathon als Dritte eine neuerliche Medaille gewann und die auch euphorisch feierte. Es war ein guter Tag für Israel nach dem Erfolg im Marathon der Männer. „Ich hatte auf den letzten eineinhalb Kilometer keine Energie mehr in den Beinen, die Regeneration nach dem Marathon war einfach kurz. Aber dennoch gelangen die Bronzemedaille und ein israelischer Rekord“, sagte die 33-Jährige. Can, die ihren dritten EM-Titel auf der Bahn nach dem Doppel von Amsterdam feierte, zeigte sich sehr glücklich über ihren Triumph: „Das ist ein sehr wichtiges Resultat für mich. Das ganze Land hat auf diesen Sieg gewartet.“
Klosterhalfen enttäuscht über Rang vier
Für Konstanze Klosterhalfen blieb bei ihrer zweiten Heim-EM nach 2018 in Berlin wieder nur ein vierter Platz, damals über 5.000m. „Ich hatte einfach nicht die Power, um den anderen zu folgen. Ich hätte mir das schon etwas anders vorgestellt, weil wir gedacht hätten, ich könnte so um 30:40 Minuten laufen. Daher bin ich etwas enttäuscht, aber das gilt es zu akzeptieren. Es war trotzdem ein wunderbares Erlebnis, hier in diesem Stadion zu laufen“, kommentierte die in den USA lebende 25-Jährige. Wie Can wird Klosterhalfen am Donnerstagabend auch den 5.000m-Lauf bestreiten, die Regenerationszeit ist mit drei Tagen ziemlich kurz. Ob McColgan ebenfalls dabei sein wird, klang nach dem Interview mit European Athletics zumindest fraglich.
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