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Die ersten Leichtathletik-Weltmeisterschaften auf US-amerikanischen Boden sind auf der sportlichen Bühne zur Show der Gastgeber geworden. Mit 13 Gold, neun Silber- und elf Bronzemedaillen blieben gleich 33 Medaillen zuhause, so eine erfolgreiche Ausbeute hat es in der WM-Geschichte noch nicht…
Die ersten Leichtathletik-Weltmeisterschaften auf US-amerikanischen Boden sind auf der sportlichen Bühne zur Show der Gastgeber geworden. Mit 13 Gold, neun Silber- und elf Bronzemedaillen blieben gleich 33 Medaillen zuhause, so eine erfolgreiche Ausbeute hat es in der WM-Geschichte noch nicht gegeben (die beiden deutschen Teams sammelten 1987 addiert 34 Medaillen, davon gingen 31 auf das Konto der DDR, Anm.). Nur die USA selbst hat bei den Weltmeisterschaften von Helsinki 2005, Osaka 2007 und Doha 2019 mit 14 Goldmedaillen ein statistisch besseres Resultat erzielt, da im Medaillenspiegel Goldmedaillen einen höheren Stellenwert haben. Die Gesamtmedaillenanzahl war jedoch jeweils etwas geringer. Noch deutlicher zeigt sich die US-Dominanz im Placing Table, der Top-Acht-Platzierungen abstufend mit acht bis einem Punkt versieht und einen etwas breiteren Blick auf das Abschneiden nationaler Verbände anbietet. Mit 328 Punkten hat die USA fast dreimal so viele Zähler gesammelt wie das zweitplatzierte Jamaika. Nur zweimal ist in der Statistik ein besseres Resultat vermerkt: Bei den Weltmeisterschaften 1983 und 1987 sammelten die beiden deutschen Teams addiert 333,5 und 332 Punkte.
Die Leichtathletik-WM 2022 von Oregon wird als eine besondere in die Geschichte eingehen. Sie fand nicht in einer Metropole mit internationalem Drehkreuz für den Flugverkehr statt, sondern in der nordwestamerikanischen Provinz, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und nicht spektakuläre Wolkenkratzer und architektonische Bauten, sondern die Natur die Highlights stellte. Dafür präsentierte sich das neue Hayward Field als moderne Arena, nicht als multifunktioneller Ort für Sportausübung, sondern als reines Leichtathletik-Stadion, was vor allen Dingen den technischen Bewerben mit einer optimalen Präsentation im Stadion zugute kam, die sonst nicht selten am Rand des Rampenlichts ihre Bühne finden müssen. Dass die Bahn schnelle Sprints und Laufleistungen zulässt, ist mittlerweile Standard. Die WM 2022 hatte keinen Schatten einer politischen Inszenierung wie so mancher Vorgänger im letzten Jahrzehnt, dafür präsentierte sich der in Oregon beheimatete Wirtschaftsplayer auf dem Sportartikelmarkt, der auch eine wesentliche Rolle in der Bewerbung gespielt haben dürfte.
Doch nicht nur Nike wusste Kapital aus dem Großereignis zu schlagen: Der US-Bundesstaat Oregon ist geschätzt in den zehn Wettkampftagen mit rund einer Milliarde Menschen weltweit direkt in Kontakt getreten – ein unschätzbarer Werbewert für einen Bundesstaat, der nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie Österreich. Die WM kam ganz ohne Glanz und Glamour aus, sie hatte für die Athleten auch nur in der Arena weltmeisterlichen Touch. Außerhalb hatten die US-Amerikaner, die das College-System kennen, auch atmosphärisch einen drastischen Heimvorteil. Die Zuschauerzahlen waren sowohl geografisch als auch infrastrukturell bedingt die mit Abstand kleinsten der WM-Geschichte, dafür überzeugte das Publikum mit einem tollen Gespür und enormer Fachkenntnis. Was diverse Meetings in Europa längst gezeigt haben und erahnen ließen: Leichtathletik-Feste lassen sich auch bei internationalen Titelkämpfen in kleinem Rahmen feiern – und zwar ohne hochtechnologische Inszenierungen. Es reicht die Kompetenz und die Leidenschaft für den Sport und die hat Eugene. „Eugene atmet Leichtathletik“, brachte die ehemalige Hürdensprint-Olympiasieger Joanna Hayes gegenüber World Athletics auf den Punkt. Die Stadt sei ein Premiumort für das Laufen, Springen und Werfen. Die Begeisterung der Lokalmatadoren und der Leichtathletik-Legenden der USA in den Tagen war enorm.
Hinkende Zuschauerzahlen im Stadion
Dennoch gilt es den Finger in die Wunde zu legen: Trotz der erheblich reduzierten Stadionkapazität gegenüber vorangehenden Plänen war keine einzige der Sessions ausverkauft im Sinne von vollbesetzt. Die schwierige Hotelverfügbarkeit in der Kleinstadt und die teilweise astronomisch hohen Summen der Ticketpreise mögen zentrale Gründe sein. Ein Fakt, der die Leichtathletik nicht näher an die Fans gebracht hat. Vor dem Bildschirm sah das übrigens anders aus, Broadcaster NBC vermeldete frühzeitig einen neuen TV-Zuseher-WM-Rekord. Der ÖLV stellte der Organisation wegen der etlichen Sessions mit verwaisten Sitzschalen und wegen der Unterbringung der Delegationen ein sehr kritisches Teilzeugnis aus.
WM der Rekorde
Positiver ist die Begutachtung der Wetterbedingungen, die an zehn Tagen in Folge nahezu perfekt waren, sowie der sportlichen Leistungen der besten der über 1.700 Athleten aus 179 Ländern anwesenden Athletinnen und Athleten. Drei neue Weltrekorde sowie etliche Landes-, Kontinental- und Meisterschaftsrekorde wie persönliche Bestleistungen zierten die Ranglisten. Im Zwiespalt zur US-Dominanz steht die Tatsache, dass die Leichtathletik immer breiter wird: 29 Nationen durften in Eugene über mindestens eine Goldmedaille jubeln, darunter die Debütanten Peru, Kasachstan und Nigeria, 81 Nationen schafften einen Finaleinzug in mindestens einer Disziplin – beides ist neuer WM-Rekord.
Äthiopien gewinnt Prestigeduell gegen Kenia
Erfolgreich verliefen die Weltmeisterschaften für die äthiopischen Läuferinnen und Läufer, die mit Tamirat Tola und Gotytom Gebreslase beide Marathon-WM-Goldmedaillen holten und inklusive der Goldmedaillen von Gudaf Tsegay (5.000m) und Letesenbet Gidey (10.000m) insgesamt auf zehn Medaillen kamen. Damit lag Äthiopien noch deutlich vor Jamaika und Kenia auf Rang zwei des Medaillenspiegels und erzielte das historisch beste Abschneiden. 2013 in Moskau freute sich Äthiopien ebenfalls über zehn Medaillen, es waren jedoch „nur“ drei in Gold. Anders lautet die Bewertung beim prestigeträchtigen Rivalen in Kenia: Trotz Rang vier im Medaillenspiegel war die Medaillenbilanz Kenias nur fünfmal schlechter als in Oregon 2022 – zuletzt vor 17 Jahren in Helsinki mit einer einzigen Goldmedaille.
Placing Table der WM 2022 (Top-Acht-Platzierungen gewertet)
1. USA 328 Punkte
2. Jamaika 110 Punkte
3. Äthiopien 106 Punkte
4. Kenia 104 Punkte
5. Großbritannien 68 Punkte
6. China 63 Punkte
6. Kanada 63 Punkte
8. Polen 49 Punkte
9. Australien 47 Punkte
9. Niederlande 47 Punkte
11. Japan 40 Punkte
12. Italien 39 Punkte
13. Brasilien 34 Punkte
14. Schweden 32 Punkte
14. Frankreich 32 Punkte
14. Deutschland 32 Punkte
17. Spanien 31 Punkte
…
25. Schweiz 18 Punkte
Europa vor der EM im leichten Hintertreffen
Bestplatzierte europäische Nation im Medaillenspiegel war Polen auf Platz acht, die meisten Medaillen eines europäischen Verbandes holte der britische, der aber gleich fünf der sieben Medaillen in Bronze gewann. Highlight blieb der Überraschungs-WM-Titel von Jake Wightman im 1.500m-Lauf der Männer. Im Placing Table erreichte Europas stärkste Leichtathletik-Nation vor dem Heimspiel bei den Commonwealth Games in Birmingham nächste Woche immerhin Rang fünf, Polen und die Niederlande schafften es als weitere europäische Nationen in die Top-Ten. Zwar mögen die anstehenden Europameisterschaften in München die Stärke der europäischen Nationen abgefedert haben, aber das doch deutliche Hintertreffen nicht nur gegenüber der USA, der Sprintnation Jamaika und den ostafrikanischen Laufhochburgen, sondern auch gegen die größten asiatischen Leichtathletik-Nationen China und Japan sowie Kanada und Australien ist auffallend.
Enttäuschung in Deutschland und Österreich, Begeisterung in der Schweiz
Der Deutsche Leichtathletik-Verband erzielte mit nur einer Gold- und einer Bronzemedaille, letztere basierend auf einer Überraschung, seine unterrangigste Position im Medaillenspiegel der WM-Geschichte. Auch im Placing Table konnte der DLV mit dem geteilten 14. Platz auf Augenhöhe mit Schweden und Frankreich nicht überzeugen. Die bisher schlechteste Platzierung bei Weltmeisterschaften war ein siebter Rang. Dementsprechend ernüchternd fiel die Bilanz aus. „Wir sind mit dem Ausgang der WM nicht zufrieden und haben dieses schlechte Abschneiden auch nicht erwartet“, sagte Chefbundestrainerin Anett Stein. Zu diversen prominenten Ausfällen sei dazugekommen, dass fast jede zweite WM-Starterin und jeder zweite WM-Starter ihr bzw. sein Leistungsvermögen nicht abgerufen hätte.
Die Schweiz erzielte mit 18 Punkten einen respektablen 25. Platz im Placing Table, ein besseres Abschneiden gab es zuletzt vor 35 Jahren in Rom, bei der zweiten Leichtathletik-WM. „Unsere Bilanz ist sehr erfreulich“, bilanzierte Philipp Bandi, Chef Leistungssport bei Swiss Athletics, sehr zufrieden. Nach Rang zehn im Diskuswurf von Lukas Weißhaidinger taucht der Österreichische Leichtathletik-Verband (ÖLV) weder im Medaillenspiegel noch im Placing Table auf – das gab es zuletzt 2015.
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