Sensationen in Stockholm

Erstmals gewinnt ein Athlet aus dem Athlete Refugee Team des Leichtathletik-Weltverbandes (World Athletics) einen großen Wettkampf. Dominic Lobalu, aus dem Südsudan geflüchtet und seit drei Jahren in der Schweiz ansässig, düpierte beim Diamond-League-Meeting in Stockholm Superstar Jacob Kiplimo über 3.000m. Auch im 800m-Lauf der Frauen gab es einen überraschenden Rennausgang.

© Wanda Diamond League

Dominic Lobalu hat viel zu erzählen, denn er hat Bewegendes erlebt. Als Kind flüchtete er aus seinem Heimatland Südsudan, das unter dem Bürgerkrieg litt, über die Grenze nach Kenia, wo er im Alter von 15 mit dem leistungsorientierten Laufen begann, Teil des neu gestalteten Flüchtlingsteams wurde, im Trainingscamp von Tegla Loroupe lebte und trainierte. 2017 startete er bei den Weltmeisterschaften in London, doch Lobalu fühlte sich im Flüchtlingscamp in Kenia nicht wohl. 2019, so berichtete das Schweizer Fernsehen (SRF) vor einigen Tagen, tauchte er sich nach einem Wettkampf in Genf unter und suchte um Asyl an. Es gelang und seither lebt der 23-Jährige in der Ostschweiz. Wesentlich bei der Integration in den Schweizer Sport geholfen hat ihm Marathonrekordhalter Tadesse Abraham, der in einem gemeinsamen Projekt mit der Versicherung Generali Immigranten unterstützt. Für den Auftritt in der schwedischen Hauptstadt bekam er ein Spezialvisum, das ihm eine Ausreise aus der Schweiz erlaubte. Im Athlete Refugee Team für die WM in Eugene steht er nicht, seit gestern würde er zum erweiterten Anwärterkreis auf eine Medaille über 5.000m gehören. Dominic Lobalu sieht den sensationellen Erfolg von Stockholm nur als Etappe, wie der SRF betont. Er strebt die Schweizer Staatsbürgerschaft an und möchte 2024 für seine neue Heimat bei den Olympischen Spielen an den Start gehen.

Eine Inspiration für alle Flüchtenden

Die Sensation in der schwedischen Hauptstadt deutete sich erstmals in der letzten Runde an. Davor hatte sich Lobalu im hinteren Teil der sechsköpfigen Spitzengruppe aufgehalten, die unter der Leitung des Australiers Stewart McSweyn in die letzte Runde ging. Dann übernahm plangemäß Jacob Kiplimo die Führung, doch Lobalu überholte einen Kontrahenten nach dem anderen und saugte sich ausgangs der letzten Kurve an den Halbmarathon-Weltrekordhalter und Olympia-Medaillengewinner im 10.000m-Lauf heran. Wenige Schritte vor der Ziellinie passierte das Unwirkliche: Lobalu schob sich an ihm vorbei und siegte in einer Zeit von 7:29,48 Minuten – eine persönliche Bestleistung um 20 Sekunden und ein historischer Triumph für das Flüchtlingsteam, am Ende einer fantastischen Schlussrunde in etwa 54 Sekunden. „Ich habe an den Sieg geglaubt und nie aufgegeben“, sagte der Sieger, vielleicht stellvertretend für seine Lebensgeschichte. „Ich wollte unbedingt der Erste aus dem Athlete Refugee Team sein, der einen wichtigen Sieg feiert. Damit möchte ich alle motivieren, die auf der Flucht sind. Der heutige Tag ist eine große Sache für mich!“ Lobalu übernahm mit dieser Leistung die Führung in der Weltjahresbestenliste des 3.000m-Laufs.

Der Kenianer Cornelius Kemboi wurde noch vor McSweyn Dritter. Der fünftplatzierte Thierry Ndikumwenayo verpasste nur knapp einen Landesrekord für Burundi, Luis Grijalva markierte in 7:38,67 Minuten auf Position sechs einen für sein Heimatland Guatemala.

Hodgkinson von Moraa besiegt

Die zweite große Überraschung des angenehmen Sommerabends im alt ehrwürdigen Olympiastadion von Stockholm, die Laufentscheidungen betreffend, erlebte Keely Hodgkinson. Der britische 800m-Star verlor überraschend gegen die starke Kenianerin Mary Moraa, die erneut eine Zeit unter 1:58 Minuten auf die Bahn zauberte. Die frisch gebackene Siegerin der Kenya Trials ließ Hodgkinson im Endspurt keine Chance und siegte in einer Zeit von 1:57,68 Minuten mit exakt einer halben Sekunde Vorsprung auf die Olympia-Silbermedaillengewinnerin. „Ich mag es nicht zu verlieren, aber das sind alles gute Erfahrungen“, bilanzierte die 20-Jährige einen Warnschuss bei der Generalprobe für die Weltmeisterschaften, die in zwei Wochen in Eugene beginnen. Auch der Rahmen war für sie eine neue Erfahrung, nachdem sie in den Pandemiejahren in die Weltklasse gekommen ist. „Ich bin wahrscheinlich noch nie vor einem größeren Publikum gelaufen.“ Das Lob an das Publikum stand auch in dem Kontext, dass Hodgkinson bereits im Vorjahr in Stockholm kein sehr gutes Rennen absolviert hatte.

Die 22-jährige Kenianerin, die bereits in Rabat gewinnen konnte, freute sich sehr über ihren bisher größten Erfolg: „Ich bin hierher gekommen, um zu gewinnen. Nun freue ich mich darauf, in Oregon um die WM-Medaillen mitzulaufen.“ Moraa diktierte die Pace vom Start weg, selbst die australische Tempomacherin schien Mühe zu haben, nach knapp 200 Metern an die Spitze zu kommen. Die erste Runde war nach 57,45 Sekunden absolviert. Die bis dato recht passiv laufende Engländerin arbeitete sich auf der Gegengerade nach vorne und versuchte in der letzten Kurve in Führung zu gehen. Was nicht gelang, die Kenianerin kam optimal aus der Kurve und ließ sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Ihr bisher bestes Saisonrennen lief die Australierin Catriona Bisset auf Rang drei (1:58,54) vor Weltmeisterin Halimah Nakaayi aus Uganda.

Krause nur drittbeste Deutsche

Im 3.000m-Hindernislauf wurde die für Kasachstan laufende Daisy Jepkemei ihrer Favoritenrolle gerecht. In Abwesenheit der kompletten Weltklasse lief sie zu einem klaren Sieg in 9:15,77 Minuten und hatte sich bereits zu Rennmitte etwas von ihren europäischen Kontrahentinnen abgesetzt. In der Verfolgergruppe gelang der Französin Alice Finot eine Glanzleistung. Sie verbesserte ihren eigenen, erst vor gut einem Monat in Huelva aufgestellten französischen Landesrekord um knapp zwei Sekunden auf eine Zeit von 9:19,59 Minuten. Etwas überraschenderweise lobte sie im Interview mit der Wanda Diamond League ihre Konstanz, nachdem sie zuletzt beim Diamond-League-Meeting in Paris nicht in diese Spitzenregionen laufen konnte. „Ich habe heute die beste Version meines Ichs gezeigt“, so die 31-Jährige, die sich seit diesem Jahr voll auf den Sport konzentriert. Davor hat sie zwei Jahre Teilzeit als Ingenieurin in der Autoindustrie gearbeitet.

Zweibeste Europäerin war Chiarra Scherrer aus der Schweiz, die eine tolle Leistung in einer Zeit von 9:24,16 Minuten fixierte, die mit einer neuerlichen Spitzenplatzierung in der Diamond League belohnt wurde. In ihrem Rücken lief Nataliya Strebkova einen ukrainischen Landesrekord in 9:24,54 Minuten. Interessant war auch die Rennentwicklung aus deutscher Sicht. Während Gesa Krause bei ihrem Saisoneinstieg, nachdem sie aufgrund eines Infekts die Deutschen Meisterschaften am vergangenen Wochenende ausgelassen hat (siehe RunAustria-Bericht), ein konservativeres Tempo anschlug, lief Lea Meyer in der europäischen Verfolgergruppe mit und belohnte sich mit einer persönlichen Bestleistung von 9:25,61 Minuten auf Platz fünf. Krause musste sich in der nationalen Wertung in einer Zeit von 9:44,44 Minuten auch noch hinter Elena Burkard einreihen, der Countdown bis Eugene tickt nun für die Europameisterin ziemlich laut. Ihr Trainer Wolfgang Heinig hatte im Vorfeld die Erwartungen gedämpft und sah den Wettkampf als wichtige Erfahrung für die WM an.

Moula übertrumpft kenianische Stars

Aufgrund seiner nicht berauschenden Form erhielt Olympiasieger Emmanuel Korir von seinem Verband die Ausnahmegenehmigung, das unter eine „COVID-Blase“ gestellte Teamcamp der kenianischen WM-Teilnehmer in Nairobi zu verlassen und nach Stockholm zu reisen. Doch der 27-Jährige kam auch in der schwedischen Hauptstadt nicht in Schwung und wurde in einer Saisonbestzeit von 1:45,85 Minuten nur Fünfter. Als er als Zweiter hinter seinem Landsmann Collins Kipruto in die Zielgerade einbog, konnte er nicht mehr zulegen. Kipruto fiel gar noch deutlicher zurück.

Und so öffnete sich die Tür für den seit Wochen in auffällig starker Verfassung agierenden Slimane Moula aus Algerien, der amtierende Afrikameister, der erst in diesem Jahr ernsthaft von den 400m auf die 800m aufgestiegen ist. Er ging aus dem Windschatten der Kenianer heraus in Führung und gab den Platz an der Spitze bis zur Ziellinie nicht wieder ab. „Ich bin überglücklich, schließlich waren so viele großartige Athleten in diesem Rennen“, sagte der 23-Jährige, der eine Zeit von 1:44,60 Minuten erreichte. Auf Bahn drei spurtete Benjamin Robert auf Rang zwei (1:45,11), auch dessen französischer Landsmann Gabriel Tual blieb noch vor Lokalmatador Andreas Kramer.

Hall und Sasinek gewinnen 1.500m-Läufe

Im Vorprogramm des zweistündigen TV-Fensters, das mit dem Weltrekordsprung von Lokalmatador Armand Duplantis im Stabhochsprung der Männer seinen Höhepunkt fand, gingen zwei 1.500m-Läufe über die Bühne. Bei den Frauen siegte die australische Favoritin Linden Hall in einer Zeit von 4:02,65 Minuten vor Winnie Nanyondo und ihrer Landsfrau Georgia Griffith. „Mir wäre lieber gewesen, die Pacemakerinnen hätten ein höheres Tempo angeschlagen. So hatte ich Sorge, auf den letzten 300 Metern von den schnellen Mädels hinter mir noch überholt zu werden“, so die 31-Jährige, die sich über den Sieg freute: „Er gibt mir wirklich viel Selbstvertrauen für die WM und die Commonwealth Games.“ Auf diese Höhepunkte wird sie sich in Seattle vorbereiten.

Bei den Männern jubelte der Tscheche Filip Sasinek in einer Zeit von 3:36,56 Minuten über seinen ersten Sieg im Rahmen eines Diamond-League-Meetings: „Nun kann ich mit viel Selbstvertrauen nach Eugene fliegen.“ Nur 0,04 Sekunden später überquerte der Brite Matthew Stonier die Ziellinie. „Das war die beste Atmosphäre, das großartigste Stadion und das prestigeträchtigste Event, bei dem ich bisher gelaufen bin“, war der 20-Jährige, der für einen Start bei den Commonwealth Games vorgesehen ist, begeistert.

Ergebnisse der Laufentscheidungen bei der Bauhaus Galan 2022

800m-Lauf der Frauen

  1. Mary Moraa (KEN) 1:57,68 Minuten
  2. Keely Hodgkinson (GBR) 1:58,18 Minuten
  3. Catriona Bisset (AUS) 1:58,54 Minuten
  4. Halimah Nakaayi (UGA) 1:58,85 Minuten
  5. Sage Hurta (USA) 1:58,95 Minuten
  6. Prudence Sekgodiso (RSA) 1:59,52 Minuten
  7. Brooke Feldmeier (USA) 1:59,73 Minuten
  8. Hedda Hynne (NOR) 2:02,09 Minuten
  9. Lovisa Lindh (SWE) 2:03,22 Minuten

800m-Lauf der Männer

  1. Slimane Moula (ALG) 1:44,60 Minuten
  2. Benjamin Robert (FRA) 1:45,11 Minuten
  3. Gabriel Tual (FRA) 1:45,29 Minuten
  4. Andreas Kramer (SWE) 1:45,42 Minuten
  5. Emmanuel Korir (KEN) 1:45,85 Minuten
  6. Adran Ben (ESP) 1:45,85 Minuten
  7. Collins Kipruto (KEN) 1:45,86 Minuten
  8. Ferguson Rotich (KEN) 1:48,05 Minuten

3.000m-Lauf der Männer

  1. Domionic Lobalu (ART) 7;29,48 Minuten * / **
  2. Jacob Kiplimo (UGA) 7:29,55 Minuten
  3. Cornelius Kemboi (KEN) 7:31,26 Minuten
  4. Stewart McSweyn (AUS) 7:31,93 Minuten
  5. Thierry Ndikumwenayo (BDI) 7:34,91 Minuten **
  6. Luis Grijalva (GUA) 7;38,67 Minuten ***
  7. Mike Foppen (NED) 7;43,37 Minuten
  8. Narve Gilje Nordas (NOR) 7:44,28 Minuten

    DNF Adel Mechaal (ESP)

3.000m-Hindernislauf der Frauen

  1. Daisy Jepkemei (KAZ) 9:15,77 Minuten
  2. Alice Finot (FRA) 9:19,59 Minuten (NR)
  3. Chiara Scherrer (SUI) 9:24,16 Minuten
  4. Nataliya Strebkova (UKR) 9:24,54 Minuten ****
  5. Lea Meyer (GER) 9:25,61 Minuten **
  6. Fancy Cherono (KEN) 9:34,61 Minuten
  7. Elena Burkard (GER) 9:40,67 Minuten
  8. Gesa Krause (GER) 9:44,44 Minuten

1.500m-Lauf der Frauen

  1. Linden Hall (AUS) 4:02,65 Minuten
  2. Winnie Nanyondo (UGA) 4:03,66 Minuten
  3. Georgia Griffith (AUS) 4:04,75 Minuten
  4. Agueda Marques (ESP) 4:07,51 Minuten **
  5. Ellie Baker (GBR) 4:08,63 Minuten
  6. Sarah Healy (IRE) 4:08,81 minuten

    11. Caterina Granz (GER) 4:16,28 Minuten

1.500m-Lauf der Männer

  1. Filip Sasinek (CZE) 3:36,56 Minuten
  2. Matthew Stonier (GBR) 3:36,60 Minuten
  3. Ronald Musagala (UGA) 3:36,90 Minuten
  4. Matthew Ramsden (AUS) 3:37,05 Minuten
  5. Samuel Pihlström (SWE) 3:37,23 Minuten **
  6. Andrew Coscoran (IRE) 3:37,33 Minuten

* neue Weltjahresbestleistung
** neue persönliche Bestleistung
*** neuer Landesrekord für Guatemala
**** neuer Landesrekord für die Ukraine

Bauhaus Galan

Wanda Diamond League

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