Ein Weltklassefeld mit fünf sub-2:04-Läufern
Kenenisa Bekeles Boston-Abenteuer kommt nicht zustande, doch das Elitefeld ist herausragend besetzt. Die Gruppe der möglichen Sieger ist riesig, die Spannung vor dem Boston Marathon, endlich wieder am traditionellen „Patriot’s Day“ ist enorm.

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Als der Veranstalter des London Marathon frühzeitig bekannt gab, aus Gründen, die mit der Pandemie zusammenhängen haben, auch die Ausgabe diesen Jahres im Oktober durchzuführen, dürfte sich der Veranstalter des Boston Marathon die Hände gerieben haben. Denn somit gab es die Möglichkeit, ein größeres Stück Kuchen der begehrten Weltelite für das eigene Rennen zu verpflichten. Die Mission gelang, das Starterfeld des Boston Marathon ist hochklassig, auch wenn es ohne die beiden ganz, ganz großen Stars auskommen muss. Eliud Kipchoge, der angesichts seines großen Ziels, alle World Marathon Majors zu gewinnen, vermutlich im nächsten Jahr an Bord sein wird, hat zuerst den Sieg beim Tokio Marathon abgehakt. Kenenisa Bekele, der zweite des herausragenden Marathon-Duos, wollte in Boston laufen, sagte aber kurzfristig ab. Nach einer Verletzung in der Vorbereitung sei der dreifache Olympiasieger auf der Bahn noch nicht so weit, um einen hochklassigen Marathon laufen zu können.
Stärkstes Feld seit langem
Die nackten statistischen Zahlen sind auch ohne Marathonläufer mit Bestleistung unter 2:02 Stunden überragend. Gleich fünf Boston-Starter weisen eine persönliche Bestleistung von unter 2:04 Stunden auf, drei weiter eine von unter 2:05 Stunden, drei weitere eine von unter 2:06 Stunden, dazu kommen weitere prominente Namen. Den Boston Marathon 2022 zu gewinnen wird sehr schwierig, aber gleich sechs Teilnehmer kennen das Gefühl bereits. Es ist das mit großem Abstand stärkste Starterfeld beim Boston Marathon der letzten Jahre.
Zwei hochkarätige Last-Minute-Verpflichtungen
Angeführt wird das Feld von Birhanu Legese, drittschnellster Marathonläufer aller Zeiten und zweifacher Tokio-Sieger. Zuletzt kämpfte der 27-Jährige allerdings mit Verletzungssorgen, die auch eine kurzfristige Absage des Marathons in der japanischen Hauptstadt verursachten. Deshalb steht ein Fragezeichen hinter seiner Fitness. Relativ kurzfristig gab der Veranstalter des Boston Marathons nicht nur den Start von Legese, sondern auch jenen seines Landsmanns Sisay Lemma bekannt. Spätestens seit seinem Triumph beim London Marathon 2021 gehört der 31-Jährige zu den absoluten Größen der Marathon-Historie, fünfmal ist der ehemalige Sieger des Vienna City Marathon in seiner Karriere bereits unter 2:05 Stunden gelaufen. Beide statistische Daten machen ihn zu einem heißen Anwärter auf den Sieg am Montag. Und die Kurzfristigkeit seiner Start-Verkündung heißt wohl nicht, dass er sich nicht gezielt für den Frühjahr in Form gebracht hat.
Das Feld der besten Äthiopier in Boston komplettieren Kinde Atanaw (Bestleistung von 2:03:51), Lemi Berhanu, der 2016 in Boston gewinnen konnte und im Vorjahr starker Zweiter war, sowie Lelisa Desisa. Der amtierende Weltmeister ist eine Boston-Legende, nicht nur, aber besonders deshalb, weil er 2013 am Tag des Terroranschlags den Marathon gewonnen hat. 2015 feierte er seinen zweiten Boston-Sieg, 2016 kam er knapp hinter Berhanu als Zweiter ins Ziel.
Lawrence Cherono und die starke kenianische Phalanx
Im ewig-jungen Duell der ostafrikanischen Laufhochburgen bieten die Kenianer ein Top-Duo auf. Lawrence Cherono hat den Boston Marathon 2019 gewonnen und rehabilitierte sich für sein enttäuschendes Abschneiden bei den Olympischen Spielen (als Vierter verlor er Edelmetall erst auf den letzten Metern) mit einem kontrollierten Sieg beim Valencia Marathon im Dezember. Insbesondere in engen Entscheidungen auf der Zielgerade ist Cherono, trotz des Missgeschicks bei den Spielen, ein Champion, das zeigte er vor drei Jahren auch auf der Boylston Street. Der 33-Jährige scheint die Konstante in jeglichem Prognose-Szenario. Evans Chebet lief seinen schnellsten Marathon 2020 in Valencia, als er in einer Spitzenzeit von 2:03:00 Stunden gewann und nachher frustriert feststellen musste, dass selbst dieser Erfolg zu keiner Änderung auf der Liste der Olympia-Nominierung des kenianischen Verbands geführt hat.
Die weiteren Kenianer im Elitefeld sind in der laut Bestleistungen gereihten Liste nicht ganz vorne zu finden, bringen aber auch hohe Qualität mit. Benson Kipruto, jüngerer Bruder des ehemaligen Chicago-Siegers Dickson Chumba, geht als Titelverteidiger ins Rennen, sein Sieg im Oktober beim erstmals im Herbst stattfindenden Boston Marathon war eine Sensation. Geoffrey Kamworor hat bereits zweimal den New York City Marathon gewonnen, ebenfalls ein Marathon ohne Tempomacher und mit einer schwierigen Strecke. Über dem dreifachen Halbmarathon-Weltmeister, der wie Cherono für den WM-Marathon nominiert wurde, schweben Gerüchte, die Fragezeichen hinter seiner physischen Verfassung setzen. Im Februar störte eine Verletzung seinen Aufbau. Der vierte Platz im Dezember in Valencia jedenfalls wurde angesichts seiner Meriten trotz einer persönlichen Bestleistung als Enttäuschung gesehen. Er erklärte es mit physischen Beschwerden in der Vorbereitung. Ist er fit, ist Kamworor immer ein absoluter Siegkandidat, er selbst hat eine Stockerlplatzierung als Ziel ausgegeben. Eric Kiptanui war ein hervorragender Halbmarathonläufer, der Durchbruch im Marathon gelang schleppend. 2021 war dennoch eine gute Saison, er gewann im strömenden Regen den Einladungsmarathon auf dem Flugfeld nahe Siena und wurde Dritter in Chicago.
Albert Korir hat zwar nur eine Bestleistung von 2:08:03 Stunden auf der Visitenkarte – eine Marke, die heutzutage niemals ein Dasein auf einer Favoritenliste rechtfertigen würde. Doch der 28-jährige, ehemalige VCM-Sieger ist eine Ausnahme, denn er hat im November in eindrucksvoller Manier den New York City Marathon gewonnen. Und dann wäre da noch ein prominenter Name: Geoffrey Kirui, Marathon-Weltmeister von London 2017 und Sieger des Boston Marathon 2017. Einen starken Marathon ist der 29-Jährige allerdings zuletzt vor dreieinhalb Jahren gelaufen. Wie Bekele absagen musste Titus Ekiru.
Der Dauerbrenner
Schnellster Nicht-Kenianer und Nicht-Äthiopier auf der Meldeliste ist der Landesrekordhalter aus Tansania, Gabriel Geay, der über eine Bestleistung von 2:04:55 Stunden verfügt. Der schnellste Nicht-Afrikaner ist nach der Absage des Italieners Eyob Faniel („Leichte Schmerzen“ haben ihn mit Hinblick auf die EM dazu bewogen, berichtet der Italienische Leichtathletik-Verband) der japanische Dauerbrenner Yuki Kawauchi. Relativ leise ist es in den USA um Galen Rupp geworden, er lässt den Boston Marathon in Vorbereitung der Weltmeisterschaften von Eugene aus, zuletzt lief er zudem nicht nach Wunsch. Daher ist Scott Fauble der am Papier stärkste US-Boy im Rennen, auch Colin Bennie, Jared Ward, Ian Butler, Mick Iacofano und der Kanadier Trevor Hofbauer haben Bestleistungen unter 2:10 Stunden.
Teferi Star im 5km-Lauf
Traditionell den Startschuss zum Boston Marathon-Wochenende geben am Sonntag ein 5km-Lauf und eine Straßenmeile. Mit Senbere Teferi ist im 5km-Lauf der Frauen eine der schnellsten Läuferinnen auf den kurzen Straßendistanzen der Welt gemeldet. Mit US-Marathonrekordhalterin Keira D’Amato, Emily Sisson, Rachel Schneider und Weini Kelati ist auch das US-Feld prominent. Bei den Männern sind die Kenianer David Bett und Edward Cheserek die Favoriten. Heather MacLean, Shane Streich, Neil Gourley und Colby Alexander sind auf dem Papier die Schnellsten über die Meile.