Große Weltrekordambitionen in Liévin
Ein Jahr nach ihrem Hallen-Weltrekord im 1.500m-Lauf greift Gudaf Tsegay den Weltrekord in Liévin im Meilenrennen unter dem Hallendach an. Dass das französische Meeting das Highlight für die Laufdistanzen im Rahmen der diesjährigen World Athletics Indoor Tour sein könnte, lassen auch die Präsenz von Selemon Barega und Jakob Ingebrigtsen erwarten.

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Es war der 9. Februar 2021, als Gudaf Tsegay beim World Athletics Indoor Tour Meeting der Stufe Gold in der Arena Stade Couvert in der Kleinstadt am nördlichsten Zipfel Frankreichs unweit der engsten Stelle des Ärmelkanals auf der einen und der Grenze zu Belgien auf der anderen Seite für einen Paukenschlag sorgte. Sie pulverisierte den Weltrekord im 1.500m-Lauf unter dem Hallendach auf eine Zeit von 3:53,09 Minuten – schneller als sie in der darauffolgenden Freiluftsaison lief und über zwei Sekunden schneller als Genzebe Dibaba beim bisherigen Hallen-Weltrekord 2014. Ein Jahr und acht Tage später will die 24-jährige Äthiopierin einen Doppelschlag vollenden, nämlich auf der gleichen Bahn den Indoor-Weltrekord über die Meile zu brechen. Auch da hält Genzebe Dibaba die Bestleistung, aufgestellt 2016 in Stockholm in einer Zeit von 4:13,31 Minuten. Dass das eine gewaltige Leistung war, zeigt der Vergleich mit dem Freiluft-Weltrekord: Sifan Hassan war 2019 in Monaco nicht einmal eine Sekunde schneller. Die Pace beim Weltrekordlauf werden übrigens die erfahrene Tempomacherin Aneta Lemiesz aus Polen und Tsegays junge und schnelle Landsfrau Hirut Meshesha gestalten.
Offene Frage bezüglich der Siegerin sollte es keine geben, sofern Tsegay in guter Verfassung an den Start geht. Der Rest des Feldes wird nicht unter vier Minuten laufen und kämpft daher um Rang zwei. Mit Sara Kuivisto aus Finnland, Esther Guerrero aus Spanien, die nach ihrem Sieg in New York auch die Gesamtwertung der World Indoor Tour im Blick haben dürfte, und der Französin Aurore Fleury hoffen auch drei Europäerinnen, im Kampf gegen ihre ostafrikanischen Kontrahentinnen auf vorderen Plätzen landen zu können.
Chance zur Revanche
Einen Weltrekord im Fokus hat auch Tsegays Landsmann Selemon Barega im 3.000m-Lauf der Frauen. Dort sind drei äthiopische Läufer mit Jahrgang 2000 in der Favoritenrolle und die Erinnerung an letztes Jahr zeigen, dass es ein schnelles Rennen wird. Getnet Wale, eigentlich Spezialist für 3.000m-Hindernislauf, schrammte im vergangenen Jahr in einer Zeit von 7:24,98 Minuten haarscharf am Hallen-Weltrekord von Daniel Komen aus dem Jahr 1998 vorbei. Es war das in der Breite schnellste 3.000m-Hallenrennen aller Zeiten. Damals musste sich Barega bei seiner Ambition, diese in die Jahre gekommene Bestmarke zu knacken, überraschend seinem sechs Monate jüngeren Landsmann geschlagen geben. Für den Olympiasieger im 10.000m-Lauf bietet sich also am heutigen Abend die zweifache Chance: erstens die neuerliche Weltrekordattacke, zweitens die Revanche gegen Wale. Der dritte schnelle Äthiopier ist Lamecha Girma, ebenfalls ein Hindernisläufer.
Das herausragende Feld komplettieren Kenias Nummer eins Nicholas Kimeli und der mehrfache spanische Rekordhalter Mohamed Katir. Den Europarekord auf dieser Distanz, gleichbedeutend mit dem spanischen, hält übrigens seit knapp zwei Wochen Adel Mechaal in 7:30,82 Minuten. Der Deutsche Mohamed Mohumed ist hinter Katir der am zweitbesten gelistete europäische Teilnehmer. Da er das Hallen-WM-Limit mit Rang vier zum Auftakt der World Athletics Indoor Tour in Karlsruhe längst in der Tasche hat, bietet ihm die Bühne von Liévin eine große Herausforderung, in einem von Beginn an pfeilschnellen Rennen gut zu performen. Vom deutschen Rekord von Dieter Baumann war der 22-Jährige im Übrigen in Karlsruhe nur vier Sekunden weg.
Erster Wettkampf 2022 für Ingebrigtsen
Ebenfalls beste Erinnerung an das Meeting Hauts-de France Pas-de-Calais hat Jakob Ingebrigtsen und zwar deshalb, weil er hier vor einem Jahr einen neuen Europarekord im 1.500m-Lauf aufgestellt hat. Und das in einer stolzen Zeit von 3:31,80 Minuten, niemand ist in der Geschichte auf den sieben Runden mit den engen Kurven der Halle jemals unter 3:31 gelaufen. Hallen-Weltrekordhalter Samuel Tefera, gerade einmal ein Jahr älter als der Norweger, ist ebenfalls im Rennen wie der ehemalige Hallen-Europameister Marcin Lewandowski.
Ein starkes Feld bietet auch der 800m-Lauf auf, der von Elliot Giles aus Großbritannien angeführt wird. Seine größten Herausforderer sind wohl der Spanier Mariano Garcia, der vor eineinhalb Wochen in New York einen spanischen Hallenrekord markiert hat, und die beiden Kenianer Cornelius Tuwei und Collins Kipruto. Mit von der Partie in einem riesigen Feld, das geteilt wird, ist auch Adam Kszczot, der auf seine Ankündigung des Rücktritts (siehe RunAustria-Bericht) seine Karriere noch mit einzelnen Auftritten in der Halle ausklingen lässt. Atmosphärisch ist das die richtige Entscheidung: Denn nach einer Saison überwiegend verwaister Tribünen (in der Hallensaison ausschließlich) wird die Halle in Liévin knackevoll. 5.000 Zuschauer werden auch den polnischen Routinier lautstark anfeuern.
20:52 Uhr – 800m-Lauf der Männer
21:20 Uhr – 800m-Lauf der Frauen
21:42 Uhr – 1.500m-Lauf der Männer
22:05 Uhr – 3.000m-Lauf der Männer
22:30 Uhr – Meilenrennen der Frauen
22:38 Uhr – 2.000m-Lauf der Männer
Duell der Schnellsten in 2022
Im 800m-Lauf der Frauen kommt es zum spannenden Duell zwischen den beiden in dieser Saison bisher schnellsten Läuferinnen Halimah Nakaayi und Natoya Goule. Die bisher in dieser Saison erfolgreiche Eglay Nalynanya, Siegerin in Dortmund und Sabadell, und die Äthiopierin Freweyni Hailu, Olympia-Vierte im 1.500m-Lauf, komplettieren ein starkes Feld, in dem auch drei Europäerinnen eine gute Rolle spielen möchten. Die Schweizerin Lore Hoffmann kommt mit der Empfehlung eines Siegs in Metz am Wochenende (siehe RunAustria-Bericht), die Polin Angelika Cichocka, Hallen-WM-Zweite im Jahr 2014, und die Französin Cynthia Anais flog über den Großen Teich retour, nachdem sie am vergangenen Wochenende in Boston eine persönliche Hallenbestleistung aufgestellt hat (siehe RunAustria-Bericht).
Bewährungschance für DLV-Trio
Im 3.000m-Lauf starten mit Hanna Klein und Sara Benfares zwei deutsche Läuferinnen. Das WM-Limit für den Hallen-Saisonhöhepunkt in Belgrad liegt bei einer Zeit von 8:49 Minuten. Spannend ist die Präsenz von Dawit Seyaum, die nach einem erfolgreichen Abstecher in den Straßenlauf (Siege beim Silvesterlauf in Bozen und beim Campaccio Cross) ihr Comeback auf der Bahn gibt. Mit ihrem neuen Leistungsniveau dürfte sie eine ernste Kontrahentin für ihre Landsfrauen Ejgayegu Taye, eine der schnellsten 5.000m-Läuferinnen des letzten Jahres und äthiopische Freiluft-Rekordhalterin über 3.000m, die erst ihr zweites Hallenrennen überhaupt bestreiten wird, und Fantu Worku sowie Beatrice Chebet aus Kenia sein.
Der 2.000m-Lauf der Männer wird von Abel Kipsang aus Kenia angeführt, bietet aber genügend Raum für einige gute europäische Läufer, darunter die Lokalmatadoren Jimmy Gressier und Simon Denissel, Mike Foppen aus Holland und Maximilian Thorwirth aus Deutschland, der zuletzt starker Fünfter in New York über 3.000m war. Der 20-jährige Äthiopier Abrham Sime, am Samstag Sieger des Zwei-Meilen-Rennens in Dortmund (siehe RunAustria-Bericht), bestreitet sein erstes Rennen über diese Distanz.
Meeting Hauts-de France Pas-de-Calais