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1:02:52 Stunden für Gidey – Weltrekord in neuen Sphären
Mit einem durchschnittlichen Lauftempo von 2:59 Minuten pro Kilometer – oder knapp über 20km/h – eröffnet Letesenbet Gidey eine neue Zeitrechnung im Laufsport. Über eine Minute blieb sie unter dem bisherigen Halbmarathon-Weltrekord. Ihr historischer Lauf nimmt eine Alleinstellung ein – er hebt sich auch im Vergleich mit anderen Weltrekorden deutlich ab.
Es ist eigentlich surreal. Doch die Zeitnehmung in Valencia log nicht. Und dass sich das Team unter der Leitung von Paco Borao, der auch Präsident der AIMS ist, bei der Streckenvermessung vertan haben könnte wie die Kollegen in Nordirland beim vermeintlichen Halbmarathon-Weltrekord von Yalemzerf Yehualaw (siehe RunAustria-Meldung) ist äußerst unwahrscheinlich. Es ist also Realität: Der neue Weltrekord der Frauen über die Distanz von 21.0975 Metern liegt bei einer Zeit von 1:02:52 Stunden. 70 Sekunden schneller als der bisherige Weltrekord von Ruth Chepngetich, 99 Sekunden schneller als der Weltrekord aus der Zeit vor der Pandemie. Zwei Minuten schneller als der im alten Jahrzehnt gültige Weltrekord. Für diese überragende Zeit bedurfte es in Valencia wohl ein optimales Zusammenspiel aus individueller Leistung in bestmöglicher Tagesverfassung, idealen Laufbedingungen, sensationeller Unterstützung der Tempomacher, einer schnellen Laufstrecke, Laufschuhen, die wie Raketen unter den Fußsohlen fungierten, und einer tadellosen Vorbereitung. Hoffentlich im Rahmen der Grenzen der Legalität, nachdem vor den Olympischen Spielen gut ein Jahr lang weniger Anti-Doping-Aktivitäten umgesetzt wurden, besonders in schwer erreichbaren Regionen der Welt. Chronistenpflicht an solchen Tagen in solchem Kontext, aber Hinweise in diese Richtung, gibt es keine.
Eine herausragende Leistung unter den herausragenden
So eine selbst unter Weltrekorden unfassbare Leistung erlaubt kein einfaches Honorieren, vielmehr muss die Besonderheit aufgezeigt werden. Sie ist in den beiden folgenden Tabellen dargestellt.
Vergleich: Weltrekorde der Frauen vs. Weltrekorde der Männer
Halbmarathon-Weltrekord der Frauen (in sec.)
Halbmarathon-Weltrekord der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
3772
3452
15,17
Marathon-Weltrekord der Frauen (in sec.)
Marathon-Weltrekord der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
8044
7299
17,66
10km-Weltrekord der Frauen (in sec.)
10km-Weltrekord der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
1778
1584
19,4
10.000m-Weltrekord der Frauen (in sec.)
10.000m-Weltrekord der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
1741
1571
17
Vergleich: Frauen-Weltrekorde vs. ÖLV-Rekorde der Männer
Halbmarathon-Weltrekord der Frauen (in sec.)
ÖLV-Rekord im Halbmarathon der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
3772
3702
3,32
Marathon-Weltrekord der Frauen (in sec.)
ÖLV-Rekord im Marathon der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
8044
7806
5,64
10km-Weltrekord der Frauen (in sec.)
ÖLV-Rekord im 10km-Lauf der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
1778
1690
8,8
10.000m-Weltrekord der Frauen (in sec.)
ÖLV-Rekord im 10.000m-Lauf der Männer (in sec.)
Differenz in Sekunden/Kilometer
1741
1656
8,5
Letesenbet Gidey hält mit der Weltbestleistung von 44:20 Minuten im 15km-Lauf (kein offizieller Weltrekord über diese Distanz, Anm.) bereits eine der außergewöhnlichsten Leistungen überhaupt im Laufsport. Diese von 1:02:52 Stunden, übrigens bei ihrem Debüt im Halbmarathon erzielt, ist die zweite, die die erste auch deshalb überlagert, weil sie bei der 15km-Zwischenzeit nur neun Sekunden langsamer war als damals auf der Ziellinie in Nijmegen 2019. Die 15km-Bestleistung, 1:17 Minuten schneller als die zweitschnellste der Geschichte, ist der Grund, warum dieses Debüt nicht die allergrößte Sensation der Geschichte sein mag – trotz der Wunderzahlen auf der Zeitanzeige.
Spitzenwert im Performance Score für Laufdistanzen
Auch der Performance Score von World Athletics, der eine qualitative Einschätzung der Leistungen verschiedener Disziplinen versucht, zeigt die seltene Superleistung. 1.325 Punkte ist sie Wert. Der Marathon-Weltrekord von Brigid Kosgei erzielt 1.295, nahe kommt im Straßenlauf nur die Leistung von Gidey selbst über 15km (1.319) – Männer und Frauen summiert. Disziplinenübergreifend in der Leichtathletik ist die Vergleichbarkeit mit Aussagekraft begrenzt, dennoch liegt Gideys Halbmarathon-Weltrekord weit vorne in der Statistik – unerreicht bleiben zwei aus der sagenumwobenden Ostblock-Zeit der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Die best bewerteten Leichtathletik-Weltrekorde, Frauen laut Performance Score (World Athletics)
Punkte – Athletin (Nation) – Disziplin – Jahr
1.382 Punkte – Gabriele Reinsch (DDR) – Diskuswurf – 1988
1.372 Punkte – Natalya Lisovskaya (URS) – Kugelstoßen – 1987
1.331 Punkte – Jackie Joyner-Kersee (USA) – Siebenkampf – 1988
1.325 Punkte – Letesenbet Gidey (ETH) – Halbmarathon – 2021
Die best bewerteten Leichtathletik-Weltrekorde, Männer laut Performance Score (World Athletics)
Punkte – Athletin (Nation) – Disziplin – Jahr
1.365 Punkte – Jan Zelezny (CZE) – Speerwurf – 1996
1.356 Punkte – Usain Bolt (JAM) – 100m – 2009
1.352 Punkte – Usain Bolt (JAM) – 200m – 2009
1.346 Punkte – Mike Powell (USA) – Weitsprung – 1991
1.341 Punkte – Karsten Warholm (NOR) – 400m-Hürden – 2021
1.316 Punkte – Eliud Kipchoge (KEN) – Marathon – 2018
Übrigens, um den Statistik-Block abzuschließen: Nur drei Österreicher sind jemals einen schnelleren Halbmarathon gelaufen als Gidey heute in Valencia. Und eine Verbesserung eines Weltrekordes in dieser Größenordnung (eine Minute, zehn Sekunden) gab es im Halbmarathon noch nie. Nicht einmal ansatzweise.
Rekord-Triple wie eins Kristiansen
Letensebet Gidey hält nun die Weltrekorde im 5.000m-Lauf (14:06,62), 10.000m-Lauf (29:01,83) und im Halbmarathon. Das hat zuletzt die Norwegerin Ingrid Kristiansen geschafft, das ist eine ganze Generation in unserer Gesellschaft her. Aber: Gidey hat noch kein großes Rennen gewonnen, über 10.000m musste sie sich in Doha 2019 und bei den Olympischen Spielen mit Silber bzw. Bronze hinter Sifan Hassan geschlagen geben. Das ist eine wichtige Notiz im Weltrekordregen.
Überlegenheit in konstantem Rennen
In Valencia kümmerte sich die 23-Jährige vom Start weg nicht für die Konkurrenz. Doch die Rivalinnen um Gidey, denn nicht weniger als vier Kontrahentinnen entschieden sich, das Tempo bis zur Zwischenzeit von 15 Minuten glatt nach fünf Kilometern mitzugehen. Es wurde absurderweise noch schneller. In einem 14:45-Minuten-Teilstück erreichte die junge Äthiopierin die Zwischenzeit bei Kilometer zehn, jetzt hing nur noch ihre ein Jahr jüngere Landsfrau Yalemzerf Yehualaw an ihren Fersen. Noch einmal zum Notieren: 29:45 Minuten lautete die Zwischenzeit kurz vor Halbzeit, das ist gerade einmal sieben Sekunden langsamer als der eben erst vor drei Wochen aufgestellte Weltrekord von Kalkidan Gezahegne (übrigens ohne männliche Pacemaker).
Auf dem Weg zur Zwischenzeit bei Kilometer 15, die Gidey in 44:29 Minuten erreichte, entledigte sie sich ihrer letzten Riavalin. Es war das schnellste Teilstück des Rennens, der Weltrekord ließ sich dank eines großen Polsters nicht mehr vermeiden. Gidey zog durch und vollendete ihr Werk in einer Zeit von 1:02:52 Stunden laut World Athletics, 1:02:51 Stunden laut Veranstaltungsergebnis. Yehualaw blieb in 1:03:51 Stunden ebenfalls unter dem alten Weltrekord und schaffte dieses Mal auf einer (mutmaßlich) richtig vermessenen Strecke eine erste Zeit unter 1:04 Stunden. „Ich möchte mich bei allen bedanken, die heute etwas zu meiner Leistung beigetragen haben“, sagte die neue Weltrekordhalterin brav bei der Pressekonferenz – ein Jahr, nachdem sie in derselben Stadt den Weltrekord im 5.000m-Lauf gesteigert hat. „Ich fühle mich hier wohl“, stellte sie fest. Die Leistungsexplosion führt sie auf ihr hervorragendes Training in Addis Abeba zurück. Die gesalzenen Worte streute Renndirektor Borao bei: „Was wir heute gesehen haben, war brutal! Einfach außergewöhnlich!“
Europäische Topergebnisse
Auch hinter dem äthiopischen Duo regnete es Bestzeiten. Sheila Chepkirui verbesserte sich auf 1:04:53 Stunden und ist nun die Nummer sechs der ewigen kenianischen Bestenliste. Die ehemalige Afrikameisterin über 5.000m verbesserte ihre Leistung aus dem Vorjahr um 47 Sekunden. Brenda Jepleting lief über eine Minute schneller als bei ihrem Sieg in Herzogenaurach und steigerte sich auf 1:05:44 Stunden, die junge Äthiopierin Bosena Muleta debütierte in starken 1:06:00 Stunden, ihre Landsfrau Nigisti Haftu blieb in ihrem zweiten Halbmarathon erstmals unter 1:08 Stunden (1:06:17).
Sarah Lahtis 5km-Teilzeiten: 16:19 / 16:12 / 16:24 / 16:38 / 3:25 (1,0975 km) Minuten
Auch für den europäischen Laufsport konnte ein erfolgreiches Abschneiden verzeichnet werden. Die 26-jährige Sarah Lahti war als Gesamt-Achte die beste Europäerin und verbesserte ihren ein Jahr alten schwedischen Landesrekord um über eineinhalb Minuten auf eine Zeit von 1:08:19 Stunden. Fionnuala McCormack, mittlerweile 37 Jahre alt, blieb erstmals unter 1:10 Stunden und ist mit 1:09:32 Stunden nun die zweitschnellste Irin aller Zeiten hinter Catherine McKiernan. Camilla Richardsson verbesserte sich in 1:10:51 Stunden auf Position zwei der finnischen Bestenliste hinter dem ehemaligen Wunderkind Annemari Sandell und die Schweizerin Nicole Egger ist nun Sechste der ewigen Schweizer Bestenliste: Sie steigerte sich um fast zwei Minuten auf 1:11:48 Stunden.
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