Rekordsieg als Ziel für Gladys Cherono in Berlin

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Wenn der Begriff vom „sportlichen Wohnzimmer“ bemüht werden darf, für Gladys Cherono ist die Antwort eindeutig: Berlin! Hier hat die 36-Jährige dreimal den prestigeträchtigen Marathon gewonnen. 2015, 2017 und 2018. Drei Siege in der deutschen Hauptstadt sind auch der Äthiopierin Aberu Kebede, der Deutschen Uta Pippig und der Polin Renata Kokowska, letztere beide im alten Jahrtausend, gelungen. Cherono könnte sich am Sonntag zur Rekordsiegerin des ersten World Marathon Major der diesjährigen Herbstsaison aufschwingen. Und seit der verletzungsbedingten Absage (siehe RunAustria-Meldung) ihrer Landsfrau Vivian Cheruiyot, eine ehemalige London- und Frankfurt-Marathon-Siegerin, sind die sportlichen Voraussetzungen günstig für den mit Spannung erwarteten Marathon am Sonntag. Denn die Kenianerin ist die klare Favoritin.
 
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Sportliche Liebe

Dass Gladys Cherono beständig nach Berlin zurückkehrt, liegt daran, dass ihr dieser Marathonlauf stets Glück gebracht hat. Nach dem Marathon-Debüt der damals amtierenden Halbmarathon-Weltmeisterin beim Dubai Marathon 2015, damals Rekord-Debüt in 2:20:03 Stunden, gelang ihr in der deutschen Hauptstadt ein gutes halbes Jahr später ihr erster Marathon-Triumph in 2:19:25 Stunden. Während es in Berlin auch in den Folgejahren (2016 lief sie aus gesundheitlichen Gründen keinen Marathon) nach Wunsch klappte, blieben die Erfolge außerhalb der deutschen Hauptstadt aus. In Boston belegte sie 2017 den fünften Platz, in London in den beiden folgenden Jahren jeweils den vierten. Die herausragende Leistung gelang ihr beim Berlin Marathon 2018, als die erfahrene Kenianerin die im Management von Gianni Demadonna trainiert, eine Zeit von 2:18:11 Stunden erzielte um den hochklassigsten Berlin Marathon aller Zeiten zu gewinnen. Die Äthiopierinnen Ruti Aga, die am Freitag den WM-Marathon bestreitet (siehe RunAustria-Vorschau), und Tirunesh Dibaba blieben damals ebenfalls unter 2:19 Stunden. Nie zuvor war das drei Läuferinnen in einem Rennen gelungen. „Mein Ziel ist klar: vierter Sieg in Berlin!“, hatte Cherono bereits bei der Bekanntgabe ihres Starts in der deutschen Hauptstadt klargemacht.
 

Fragezeichen hinter den äthiopischen Kontrahentinnen

Nach der Absage von Cheruiyot ist Cherono neben Sally Chepyego, die nicht für Spitzenplätze in Frage kommen sollte, die einzige Kenianerin im Elitefeld der Frauen. Die Hauptkonkurrenz für die Titelverteidigerin kommt naturgemäß aus Äthiopien. Doch hinter den prominentesten Äthiopierinnen schweben einige Fragezeichen. Mare Dibaba war 2015 Weltmeisterin und 2016 Olympia-Dritte (hinter zwei Athletinnen, die aktuell wegen Dopings gesperrt sind, Anm.), lief jedoch seit drei Jahren nicht mehr unter 2:25 Stunden. Die beste Platzierung war ein siebter Platz in London 2018, die beste Zeit eine 2:25:24 Stunden für Rang elf in Frankfurt 2018. Auch die bisherigen Saison-Auftritte geben der 29-Jährigen, die eine Bestleistung von 2:19:52 Stunden hat, kaum Hoffnung. Beim Boston Marathon stieg sie aus, beim Bogotà Halbmarathon Ende Juli verlor sie fast sechs Minuten auf Siegerin Ruth Chepngetich. Noch nicht in der Marathon-Weltklasse angekommen ist dagegen Meseret Defar, die zwei Olympische und zwei WM-Goldmedaillen im 5.000m-Lauf zu Hause hat. Nach der Geburt ihrer nun fünfjährigen Tochter und dem Umstieg auf die Straße steckt mächtig Sand im Getriebe der 35-Jährigen. Dem Debüt beim Amsterdam Marathon 2018 (2:27:25) folgte ein vierter Platz beim Nagoya Women’s Marathon 2019 (2:23:33). Der Berlin Marathon, ihr erster World Marathon Major, soll den Durchbruch in der Marathon-Szene darstellen. Dieser Durchbruch ist ihrer einstigen Dauer-Rivalin Tirunesh Dibaba schließlich längst gelungen.
 

Geheimtipp Melese

Große Namen schaffen Aufmerksamkeit, keine Frage. Es ist dennoch erstaunlich, dass der Berlin Marathon Yebrgual Melese bei der Pressekonferenz nicht präsentierte. Denn aus den skizzierten Gründen könnte sie am Sonntag Cheronos Hauptkonkurrentin im Kampf um den Sieg sein. Schließlich hält die mit viel Erfahrung ausgestattete 29-Jährige bei einer persönlichen Bestleistung von 2:19:36 Stunden, aufgestellt als Dritte des Dubai Marathon 2018. Das Top-Resultat bei den World Marathon Majors war ein zweiter Platz in Chicago 2015. Außerdem feierte sie Marathon-Siege in Shanghai (2018), Prag (2015), Houston (2015) und Hangzhou (2014) und war Zweite in Frankfurt (2017) sowie Paris (2014). Der letzte Marathon, jener in Tokio 2019, ging mit Position elf allerdings völlig daneben.
Wie für Melese bietet das Feld auch für weitere ihrer Landsfrauen gute Chancen auf eine Spitzenplatzierung. Die 25-jährige Haftamnesh Tesfay stieg beim London Marathon 2019 aus, bei ihren beiden vorangegangenen Marathons in Dubai und Frankfurt 2018 blieb sie aber stets unter 2:21 Stunden. Die in der Schweiz lebende Helen Tola musste sich beim Tokio Marathon 2019 lediglich Ruti Aga geschlagen geben und war vor zwei Jahren in Berlin Vierte. Ashete Bekere, die im Alter von 31 Jahren bereits 19 Marathonläufe bestritten hat, gewann ihre beiden letzten Marathons: 2018 in Valencia und 2019 in Rotterdam, nicht die schlechtesten Adressen. Und Rahma Tusa, die dreimal den Rom Marathon gewinnen konnte und im Frühjahr beim Vienna City Marathon als Vierte etwas unter den Erwartungen blieb, scheint ihr Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft zu haben. Vielleicht gelingt das in Berlin.
 

Ein neues deutsches Marathon-Gesicht

Seit einem halben Jahr ist die gebürtige Äthiopierin Melat Yisak Kejeta in Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft und auf einen Schlag hat der DLV eine zusätzliche Top-Läuferin und Olympia-Kandidatin in den eigenen Reihen. Der Berlin Marathon stellt das Marathon-Debüt der 26-Jährigen dar. Hoffnung auf ein direktes Unterbieten des Olympia-Limits machen zwei Halbmarathon-Ergebnisse im Sommer. In Zwolle und in Hamburg gewann sie binnen zwei Wochen und lief Zeiten von 1:09:29 bzw. 1:11:29 Stunden, letztere bei schlechten Bedingungen. Die vom ehemaligen Marathon-Bundestrainer Winfried Aufenanger betreute Athletin ist vor sieben Jahren aus Äthiopien geflüchtet und lebt seither in Deutschland. Ihre Familie hat sie seit damals nicht mehr gesehen, ein baldiges Wiedersehen steht ganz oben auf ihrer Wunschliste.
Neben Kejeta steht mit Anna Hahner eine zweite starke deutsche Läuferin am Start, die bereits Olympia-Erfahrung hat. Ob die die 29-Jährige, die nun nach einer kompletten Neuausrichtung beim SCC Berlin trainiert, in der Lage sein wird, an ihre Bestleistungen heranzulaufen, ist nach gesundheitlichen Problemen im Vorfeld fraglich. Die Vorbereitung auf ihren fünften Start in Berlin, wo sie 2017 mit Rang fünf ihr Top-Ergebnis und 2014 mit einer Zeit von 2:26:44 Stunden ihre Top-Zeit erzielte, gelang nur mit einem hohen Maß an Alternativtraining. Das erträumte Olympia-Limit liegt bei 2:29:30 Stunden, ein Top-Ten-Platz im Endresultat würde aber ebenfalls reichen. Annas Zwillingsschwester Lisa hat ihren Start frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen abgesagt.
 

Schweizer Duo richtet Blick Richtung Olympia

Beim Berlin Marathon versucht sich auch die Schweizer Marathon-Elite in Position für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zu bringen. Nach ihrem Aus beim Vienna City Marathon sucht die Schweizer Rekordhalterin Maja Neuenschwander immer noch nach ihrem ersten vernünftigen Marathon-Resultat seit den Spielen von Rio. Die Verunsicherung war beim diesjährigen VCM spürbar. Wie Neuenschwander, die in Berlin 2014 ihren nationalen Rekord von 2:26:49 Stunden gelaufen ist, verbindet auch Martina Strähl beste Erinnerungen an die deutsche Hauptstadt. Hier lief sie im Frühjahr ihren Schweizer Halbmarathon-Rekord von 1:09:29 Stunden, im Vorjahr belegte sie bei den Europameisterschaften den starken siebten Rang. Einem möglichen WM-Start in Doha gab sie das Ziel, ihre persönliche Bestleistung von 2:28:07 Stunden (EM 2018) anzugreifen, den Vorzug.
Österreichische Top-Läuferinnen sind im Gegensatz zum Männer-Rennen bei den Frauen nicht am Start. Weitere leistungsstarke Athletinnen aus Europa sind die Holländerin Andrea Deelstra, eine traditionelle Berlin-Starterin, die belgische Siegerin des Eindhoven Marathon 2018, Nina Lauwaert und die Britin Tracy Barlow. Für Spitzenplätze aus Übersee kommen die Chinesin Li Zhi Xuan sowie die US-Amerikanerinnen Sara Hall und Sally Kipyego, die auf ihren Marathon-Durchbruch noch wartet, in Frage.
46.983 angemeldete Läuferinnen und Läufer aus 150 Nationen sorgen beim 46. BMW Berlin Marathon für neuen Rekorde.
 
 
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