Cherono besiegt Desisa in faszinierendem Spurt

© Boston Marathon / Victah Sailer

Der RunAustria-Bericht des Frauen-Rennens: Degefa stürmt im Alleingang zu Boston-Triumph
Flotte erste Hälfte
Die erste Zutat eines gelungenen Marathon-Fests an der US-Ostküste mit über 30.000 gemeldeten Teilnehmern war die kurzfristige Wetterbesserung. Die prognostizierten, von Südwesten aufziehenden Regenschauer kamen mit Verspätung, so dass die Marathonläuferinnen und Marathonläufer den Klassiker nach den grausligen Marathon-Bedingungen des letzten Jahres dieses Mal sehr gute Bedingungen bei trockener Strecke, angenehmen Lauf-Temperaturen und leichtem Wind absolvieren durften. Dass aus diesen Rahmenbedingungen ein außergewöhnlich spannendes Rennen entstand, dafür sorgte die große Klasse im Rennen und die Tatsache, dass Rennen ohne Pacemaker generell für vielfältigere Rennen sorgen können. Erst recht auf der auf den ersten drei Vierteln hügeligen Strecke des Boston Marathon, wo verfrühtes Risiko zur Buße bitten kann.
Dass das Rennen nicht zu langsam wurde, dafür sorgte immer wieder der am Ende elftplatzierte US-Amerikaner Elkanah Kibet mit seiner Führungsarbeit. Ähnliche Rollen hat er auch bei früheren Rennen, zum Beispiel in Chicago eingenommen. Ein riesiges Feld von über 30 Läufern erreichte nach 30:21 Minuten die Zwischenzeit bei Kilometer zehn. Danach wurde das Rennen auf dem schwieriger werdenden Streckenteil etwas langsamer, beim Halbmarathon umfasste die Spitze noch 22 Läufer binnen etlichen Sekunden. In einer Zeit von 1:04:28 Stunden war der ehemalige Sieger Lemi Berhanu als Erster über die Zeitnehmungsmatte gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr im Rennen war der ehemalige Halbmarathon-Weltrekordhalter Zersenay Tadese. Wenig später sollte auch Mitfavorit Sisay Lemma aussteigen, der an muskulären Problemen litt. Berhanu selbst fiel ausgerechnet am berüchtigten Heartbreak-Hill aus der Spitzengruppe und warf kurz nach Kilometer 35 das Handtuch.
Kawauchi chancenlos
Während die Spitze vor dem schwierigsten Streckenteil nun etwas das Tempo anzog, hatte sich Titelverteidiger Yuki Kawauchi längst sein eigenes Tempo ausgesucht. Der Japaner suchte sich nach rund zehn Kilometer seinen eigenen Weg und hatte beim Halbmarathon bereits fast zwei Minuten Rückstand. Ein Abstand, der größer wurde. Als vorne die Post abging, lag der Sensationssieger aus dem Vorjahr bereits fünf Minuten hinten. Kawauchi erreichte in einer Zeit von 2:15:29 Stunden (Platz 17), also 29 Sekunden schneller als 2018, das Ziel in Boston – es ist halt nicht immer Kawauchi-Party-Time, wenn alle anderen bei Land-unter den Rettungsanker werfen. Was andererseits die Frage aufwirft, warum Kawauchi bei besseren Bedingungen nicht wesentlich schneller laufen konnte. Der Vorjahreszweite Geoffrey Kirui erreichte das Ziel fast zehn Minuten früher als 2018.
Trio stürmt auf die Zielgerade
Als der US-Amerikaner Scott Fauble im genialsten seiner bisherigen Marathons das Feld in einer Zwischenzeit von 1:31:59 Stunden über die Zwischenzeit bei Kilometer 30 führte, begann typischerweise für dieses Rennen die vorentscheidende Phase. Doch der Heartbreak-Hill und seine weniger bekannten „Hügel-Kollegen“ rissen das Feld nicht wirklich auseinander. Acht Läufer lagen in der längeren Bergabpassage Richtung Boston an der Spitze. Nun kam es, wie es angesichts des Renngeschehens kommen musste: die schnellste Rennphase begann mit Weltmeister Geoffrey Kirui am Ruder. Doch wenige Kilometer vor Schluss, als sich ein Trio absetzte, fehlte der Sieger von 2017, der sich am Ende in einer Zeit von 2:08:55 Stunden mit Rang fünf zufrieden geben musste. Sein Landsmann Kenneth Kipkemoi führte seinen Landsmann Lawrence Cherono und Lelisa Desisa über die Zwischenzeit bei Kilometer 40 (2:01:45) und in unveränderter Rennsituation auf den letzten Kilometer, als das Drama begann.
A nailbiter
800 Meter vor der Ziellinie am Ende der gefühlt ewigen Bostoner Zielgerade scherten Cherono und Desisa aus. Der Äthiopier, bereits leicht ins Hohlkreuz geneigt, vorne, der Kenianer lauernd leicht nach hinten versetzt. Das Belauern, sofern das bei Höchstanstrengung noch geht, ließ den Zuschauern, die in mehreren Reihen am Streckenrand standen, den Atem stocken. Nichts für schwache Nerven für all diejenigen, die einem der beiden besonders die Daumen druckten. Desisa beschleunigte leicht und konstant, Cherono hielt den Abstand von wenigen Zentimetern, als er ruckartig forcierte. Desisa hielt dagegen, beide lagen gleichauf, als sie 100 Meter vor dem Ziel alle der restlichen Energiereserven und vielleicht noch mehr in die Umwelt pulverten. Ein phänomenaler und für Marathonlauf selten intensiver Endspurt hatte seinen Höhepunkt wenige Wimpernschläge vor dem Durchtrennen des Zielbands. Lawrence Cherono lag nun hauchdünn vorne und gewann das Rennen. Hätte Desisa nicht drei Schritte vor der Ziellinie in aussichtsloser Position den Motor abgestellt, der Abstand wäre deutlich geringer gewesen als zwei Sekunden. „Normalerweise bin ich schlecht im Endspurt. Aber heute habe ich einen fantastischen Job gemacht. Ich bin sehr, sehr glücklich“, analysierte Cherono. Des einen Leid ist des anderen Freud – in einer ähnlichen Situation hatte Desisa vor einem halben Jahr in New York aus einem Endspurt gegen Shura Kitata noch triumphiert.
Fauble und Ward glänzen mit sub-2:10-Leistungen
Das alte Duell der Rivalen Kenia gegen Äthiopien ging nicht nur aufgrund des von Cherono gewonnenen Spurts klar an Kenia. Während bis auf Desisa alle äthiopischen Mitfavoriten mit dem Besenwagen das Ziel erreichten, landeten fünf Kenianer unter den besten Sechs. Kenneth Kipkemoi, im Endspurt chancenlos, erzielte eine Zeit von 2:08:07 Stunden. Es folgten Felix Kandie, der Geoffrey Kirui im letzten Atemzug überholte, und Philemon Rono – alle unter 2:09. Aus heimischer Sicht aber jubelten Scott Fauble und Jared Ward auf den Positionen sieben und acht. Nur knapp hinter den ostafrikanischen Stars lieferten die beiden Lokalmatadoren ein herausragendes Rennen ab. Der 27-jährige Fauble, der schon als Siebter in New York 2018 aufgezeigt hatte, verbesserte seine persönliche Bestleistung von damals um 3:19 Minuten auf eine Zeit von 2:09:09 Stunden und genoss die lautstarke Unterstützung am Streckenrand: „So muss sich ein NBA-Spieler in den Playoffs bei einem Heimspiel fühlen.“ Der 29-jährige Ward, von dem seit seiner Olympia-Teilnahme wenig zu hören war, steigerte seine Bestleistung aus Rio um über zwei Minuten auf eine Leistung von 2:09:25 Stunden. Seit dem denkwürdigen Sieg von Meb Keflezighi in Boston vor fünf Jahren war nur ein einziger Amerikaner unter 2:10 Stunden geblieben – der dieses Mal wegen Erholung von einer Operation fehlende Galen Rupp. Dagegen ging Dathan Ritzenhein nach seiner kurzen Vorbereitung im Finale das Gas aus und er fiel bis auf Rang 19 zurück.
Der RunAustria-Bericht des Frauen-Rennens: Degefa stürmt im Alleingang zu Boston-Triumph
Ergebnis Boston Marathon 2019 der Männer
1. Lawrence Cherono (KEN) 2:07:57 Stunden
2. Lelisa Desisa (ETH) 2:07:59 Stunden
3. Kenneth Kipkemoi (KEN) 2:08:07 Stunden
4. Felix Kandie (KEN) 2:08:54 Stunden
5. Geoffrey Kirui (KEN) 2:08:55 Stunden
6. Philemon Rono (KEN) 2:08:57 Stunden
7. Scott Fauble (USA) 2:09:09 Stunden *
8. Jared Ward (USA) 2:09:25 Stunden *
9. Festus Talam (KEN) 2:09:25 Stunden
10. Benson Kipruto (KEN) 2:09:53 Stunden
11. Elkanah Kibet (USA) 2:11:51 Stunden
12. Hiroto Inoue (JPN) 2:11:53 Stunden
13. Augustus Maiyo (USA) 2:12:40 Stunden
14. Daniel Mesfun (ERI) 2:13:05 Stunden
15. Shadrack Biwott (USA) 2:13:11 Stunden
16. Mohamed El Aaraby (MAR) 2:13:46 Stunden
17. Yuki Kawauchi (JPN) 2:15:29 Stunden
18. Hayato Sonoda (JPN) 2:15:58 Stunden
19. Dathan Ritzenhein (USA) 2:16:19 Stunden
20. Brendan Gregg (USA) 2:16:46 Stunden
…
27. Abdi Abdirahman (USA) 2:18:53 Stunden
31. Sisay Lemma (ETH) 2:22:08 Stunden
* persönliche Bestleistung
Boston Marathon