Duell der kenianischen Top-Stars am „Big Apple“

© SIP / Johannes Langer

Am 22. Oktober vor 40 Jahren betrat eine norwegische Lehrerin, die einige Jahre zuvor einen Weltrekord im 3.000m-Lauf erzielt hatte, als frisch gebackene Crosslauf-Weltmeisterin die Bühne des New York City Marathon. Wie sie später verriet, sollte dieses Abenteuer, das sie auf Wunsch ihres Ehemanns Jack anging, der letzte sportliche Auftritt in der Karriere der damals 25-Jährigen Grete Waitz werden. 2:32:30 Stunden später veränderte ein deutlicher neuer Weltrekord die Ausgangsposition völlig. Der Startschuss einer glorreichen Marathon-Karriere war gefallen, nicht weniger als neunmal triumphierte die 2011 verstorbene Grete Waitz beim heute größten Marathonlauf der Welt. Nur der Weltrekord blieb umstritten, weil Nachmessungen ergaben, dass die Strecke in den Jahren 1978-1980, in denen Waitz den Weltrekord stets deutlich verbesserte, um rund 150 Meter zu kurz war.
 

Keitany kämpft um Platz zwei in der Siegerliste

Die Norwegerin ist eine der bedeutendsten Pionierinnen für die Entwicklung des Frauenlaufsports. Auch deshalb wurde in den letzten Tagen in New York noch einmal ausgiebig an Grete Waitz’ erstem Sieg vor vier Jahrzehnten erinnert. Die neun Siege beim New York City Marathon sind ein Rekord für die Ewigkeit. Jahrzehnte später sind ihr Paula Radcliffe und Mary Keitany mit je drei Erfolgen am nächsten gekommen. Nach der etwas kuriosen Niederlage gegen Shalane Flanagan im vergangenen Jahr unternimmt die Kenianerin einen weiteren Anlauf auf ihren vierten Triumph in der „Stadt, die niemals schläft“. Seit dem New York Mini 10K, den sie im Juni mit großer Überlegenheit gewann, hat die 36-Jährige keinen Wettkampf mehr bestritten. Auch wenn in New York Laufzeiten aufgrund der Charakteristik des Rennens eine untergeordnete Rolle spielen, hat Keitany den Anspruch für sich, die schnellste Läuferin der Jetzt-Zeit zu sein. Als Halterin des Weltrekords für reine Frauen-Rennen bestätigt die Statistik sie, ein Weltrekordversuch beim diesjährigen London Marathon scheiterte im Übermut.
 

Vivian Cheruiyot bei ihrem Sieg beim Frankfurt Marathon 2017. © SIP / Johannes Langer
Cheruiyot als Widersacherin

Im Gegensatz zu den letzten Jahren – auch beim zweiten Platz im Vorjahr war Mary Keitany die haushohe Favoritin – findet die Kenianerin in diesem Jahr eine Kontrahentin an der Startlinie, die die Klasse mitbringt, ihr Leistungsniveau zu teilen. Vivian Cheruiyot hatte ihr beim London Marathon 2018 ordentlich die Show gestohlen. Trotz schwieriger Bedingungen stürmte die Olympiasiegerin im 5.000m-Lauf zu einer persönlichen Bestleistung von 2:18:31 Stunden. Von drei Marathons hat die 35-Jährige zwei gewonnen, ein dritter soll in New York folgen. „Ich bin gut vorbereitet für meine nächste Herausforderung“, so Cheruiyot. Auf der selektiven Strecke durch die US-Metropole hat sie allerdings einen klaren Erfahrungsnachteil gegenüber Keitany. Man erinnere daran, dass die dreifache Siegerin bei ihren ersten beiden Auftritten in New York in den Jahren 2010 und 2011 grandios gescheitert ist.
 

„Magische Erinnerungen“

Was sich im vergangenen Jahr in den Straßen des Central Parks abgespielt hatte, war schlichtweg eine Sensation. Shalane Flanagan beendete in ihrem besten Marathon die vier Jahrzehnte andauerten Durststrecke amerikanischer Marathonläuferinnen beim New York City Marathon. Trotz dieses Fabel-Erfolgs hat die 37-Jährige ihre Laufbahn nicht beendet und automatisch nähren sich die Hoffnungen der US-amerikanischen Lauf-Fans auf eine Wiederholung. „Wenn ich an meine Rückkehr nach New York denke, werde ich mit magischen Erinnerungen überflutet, mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich habe Schmetterlinge im Bauch. Das war ein Dream-Come-True-Moment“, schwelgt Flanagan in Erinnerungen. Ein halbes Jahr nach einem schwierigen Boston Marathon mit Platz sechs gibt sie sich kämpferisch: „Ich denke, ich kann heuer viel riskieren. Das ist das Schöne einer Titelverteidigerin, man hat das, was man erreichen will, bereits erreicht. Ich bin bereit!“ Wahrscheinlich für ihren letzten Marathon. „Seit den Olympischen Spielen bestreite ich jeden Marathon als wäre es mein letzter.“
 

Neuer Coach nach größtem Erfolg

Mit Desiree Linden als amtierende Boston-Marathon-Siegerin steht ein weiteres heißes Eisen an der Startlinie. Die 35-jährige Olympia-Siebte von Rio (unmittelbar hinter Flanagan) hat ausgerechnet nach dem größten Erfolg ihrer Karriere in Boston den Trainer gewechselt. In der Vorbereitung gewann sie den Philadelphia Halbmarathon in bescheidenen 1:11:48 Stunden. Obwohl zwei amtierende World Marathon Major-Champions am Start sind, ist ein US-Sieg dennoch sehr unwahrscheinlich, wenn die beiden Kenianerinnen ihre Leistung bringen. Eine Ausgangsposition wie im letzten Jahr für Flanagan kommt nicht häufig vor und außergewöhnliche Wetterbedingungen, die Lindens Show in Boston begünstigten, sind auch nicht zu erwarten. Der Wetterbericht ist hervorragend.
Auch wenn der New York City Marathon ohne Heimsieg über die Bühne gehen sollte, das Feld der US-amerikanischen Teilnehmerinnen, die im Gegensatz zu den europäischen keinen Höhepunkt im Sommer hatten, ist beeindruckend. Neben Flanagan und Linden sind auch Molly Huddle, die ihr Marathon-Potenzial sicherlich noch nicht ausgeschöpft hat, die Vorjahres-Fünfte Allie Kieffer und Stephane Bruce, amtierende US-Meisterin im 10km-Lauf, am Start. Und, der sensationelle zweite Platz beim World Marathon Major in Boston rechtfertigt eine Auflistung in diesem Kontext, Sarah Sellers. Eine Verbesserung der persönlichen Bestleistung von 2:44:04 Stunden sollte für die Zweitplatzierte des Boston Marathon im Rahmen sein. Nicht dabei ist dagegen die in den USA wohnhafte Kenianerin Sally Kipyego, Zweite vor zwei Jahren. Sie ist im Sommer an Malaria erkrankt und noch nicht wiedergenesen.
 

Zweiter Marathon für Halbmarathon-Weltmeisteirn

Für Spitzenplatzierungen bewerben sich auch zwei äthiopische Läuferinnen. „Dauerbrennerin“ Mamitu Daska, im Vorjahr Dritte, hat bereits zweimal den Frankfurt Marathon und einmal den Dubai Marathon für sich entschieden, fiel in den letzten Jahren allerdings durch mangelnde Konstanz auf. Interessant könnte der Auftritt von Netsanet Gudeta sein, die sich im März mit einer fantastischen Leistung von 1:06:11 Stunden zur neuen Halbmarathon-Weltmeisterin gekrönt hat. Ihr bisher einziges Marathon-Resultat, 2017 in Paris, ist ein mittelprächtiges: 2:29:15 Stunden. Die dritte Äthiopierin im Elitefeld der Frauen ist Rom-Marathon-Siegerin Rahma Tusa.
Trotz der Europameisterschaften von Berlin sind zwei starke Europäerinnen beim New York City Marathon am Start. Eva Vrabcova-Nyvltova ergatterte dank einer tschechischen Landesrekordes von 2:26:31 Stunden die EM-Bronzemedaille. Wie viel noch im Tank ist, wird sich zeigen. Denn seit diesem Erfolg von Berlin, der keine drei Monate her ist, ist wenig Zeit vergangen. Außerdem nahm die ehemalige Skilangläuferin 2018 an vier Halbmarathons, einem 20km-Lauf und zwei 10km-Wettkämpfen teil. Die Italienerin Sara Dossena, EM-Sechste, hofft auf die Wiederholung ihres letztjährigen sechsten Platz. Nach der EM gewann sie den nationalen Titel im 10km-Lauf und den Udine Halbmarathon in 1:10:10 Stunden. Etwas stärker als die beiden Europäerinnen sind die Australierin Lisa Weightman, die heuer die Silbermedaille bei den Commonwealth Games im heimischen Gold Coast gewonnen hat, und die Südkoreanerin Kim Do-Yeon einzuschätzen.
 

Teilnehmerstärkster Marathon der Welt

Weit über 50.000 Läuferinnen und Läufer werden sich auch heuer wieder auf der Verrazano-Narrows Bridge versammeln und die Ziellinie im Central Park überqueren. Unter ihnen befinden sich traditionell zahlreiche, der US-amerikanischen Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeiten – u.a. Rodel-Olympia-Medaillengewinnerin und -Weltmeisterin Erin Hamlin.
 
Der RunAustria-Vorbericht auf das Männer-Rennen: Marathon-Debüt einer Lauf-Legende
 
 
New York City Marathon

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