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„Danke Berlin! Ihr habt die besten Europameisterschaften der europäischen Leichtathletik-Geschichte organisiert. Ganz sicher! Wir haben eine unglaubliche Atmosphäre im Stadion erlebt, die zu Tränen gerührt haben.“ Leider sind so große Worte wie jene von European-Athletics-Präsident Svein Arne Hansen mittlerweile Usus,…
„Danke Berlin! Ihr habt die besten Europameisterschaften der europäischen Leichtathletik-Geschichte organisiert. Ganz sicher! Wir haben eine unglaubliche Atmosphäre im Stadion erlebt, die zu Tränen gerührt haben.“ Leider sind so große Worte wie jene von European-Athletics-Präsident Svein Arne Hansen mittlerweile Usus, wenn sportliche Großereignisse zu Ende gehen. In diesem Fall, bei den Leichtathletik-Europameisterschaften 2018 in Berlin, sind Superlative aber angebracht. Ein grandioses Zuschauerinteresse mit bis zu 60.000 Fans im Berliner Olympiastadion, hohe Qualität der sportlichen Darbietungen und der Event-Organisation, der gelungene Spagat zwischen Arena und dem Breidscheitplatz mit der „Europäischen Meile“ als zweitem wichtigen Standort der EM im Zentrum der Stadt und die erstmalige Eingliederung in Multisport-Europameisterschaften, was positives Feedback lieferte.
Briten im Medaillenspiegel vorne
Der sportliche Gewinner ist Großbritannien, das mit 18 Medaillen (davon sieben in Gold, fünf in Silber und sechs in Bronze) den Medaillenspiegel dank der dominanten Sprinter gewann. Dahinter platzierte sich ebenfalls mit sieben Goldmedaillen Polen, das in Amsterdam noch vorne gelegen ist. Mit 19 Medaillen holte Gastgeber Deutschland, das Platz drei einnahm, die meisten. Im Placing Table lag Großbritannien vor Deutschland und Polen. Die Osteuropäer sorgten im Kollektiv für Aufsehen auf den Laufdistanzen, wo sie mit Adam Kszczot (Gold) und Marcin Lewandowski sowie Sofia Ennaoui (Silber) drei Medaillen holten. Ausnahmslos alle polnischen Läuferinnen und Läufer, unabhängig von ihrer Klasse, erstaunten mit irren Endgeschwindigkeiten in ihren Endspurts. Nicht nur die Stars wie Kszczot und Lewandowski, von denen diese Tugend seit Jahren bekannt ist. Laut Medaillen die erfolgreichste Laufnation in Berlin war übrigens Frankreich. Auch Norwegen und Weißrussland holten je zwei Lauf-Medaillen.
Ein Wunderkind aus Skandinavien
Zum 24. Mal fanden Leichtathletik-Europameisterschaften statt. Nie zuvor hatte ein Läufer das Doppel 1.500m/5.000m geschafft, das zurecht als das schwierigste beieinander liegende Lauf-Doppel der Laufszene gilt. Das alleine ist bereits Sensation genug. Gesteigert wird dieses einzigartige Ereignis lediglich von der Tatsache, dass es ein 17-Jähriger schaffte und das auch noch binnen weniger als 24 Stunden. Was Jakob Ingebrigtsen in den Tagen von Berlin fabrizierte, war einfach sensationell. Der Teenager aus Norwegen ist der große Star dieser Titelkämpfe. Ein Talent eines Wunderkinds, gezielte Trainingsarbeit im „Team Ingebrigtsen“ und eine taktische Reife, die an einen 27-Jährigen erinnert, nicht an einen 17-Jährigen, der ab sofort der jüngste Leichtathletik-Europameister ist, sind die wichtigsten Zutaten. Läuft seine Karriere linear weiter, wird Ingebrigtsen den europäischen Laufsport der nächsten Jahre dominieren und kann auch auf der großen globalen Ebene den europäischen Laufsport näher an den afrikanischen heranbringen.
Ein Team
Die Ingebrigtsen-Brüder stellten in Berlin auch ein Erfolgsmodell vor, das nicht vielen Individualisten in einer Einzelsportart entspricht. Das Auftreten als Team. Der eine für den anderen, der andere für den einen. Titelverteidiger Filip Ingebrigtsen stellte sich mit angeknackster Rippe nur aus einem Grund an die Startlinie des 1.500m-Laufs. Nämlich um als Täuschungsmanöver Jakob auf dem Weg zum EM-Titel den Rücken freizuhalten und damit wichtige Unterstützung zu bieten. Obwohl Filip aus dem selben Grund auf den 5.000m-Lauf verzichtete, wärmten die von Vater Gjert gecoachten drei Brüder gemeinsam auf. Mit ihrem Auftreten polarisieren die Norweger anscheinend aber gewaltig. Während bei manchen Disziplinen das Sich-Herzen und Umarmen hinter der Ziellinie beinahe den Zeitplan sprengte, hielten sich Gratulationen an die Ingebrigtsens vornehm zurück. Offenbar sind Läufer auch keine Stabhochspringer, die ihren Wunderkind-Europameister Armand Duplantis tätschelten, küssten und herzten als wären sie bei einer seltenen Familienfeier und nicht bei einem sportlichen Wettkampf. Übrigens: Auch Ingebritsen-interne Gratulationen hielten sich in Grenzen, die hervorragende Team-Atmosphäre äußerte sich stets erst Minuten nach den Rennen.
Herrliche Bilder
Gemeinsam mit dem Co-Gastgeber der Multisport-Europameisterschaften in Glasgow lieferten die Leichtathletik-Europameisterschaften von Berlin dank der hervorragenden Arbeit der Host Broadcaster fantastische Bilder, die nicht nur Werbung für die Austragungsorte und deren Arenen, sondern auch für den Sport boten. In allen Disziplinen boten die Kameraleute grandiose Perspektiven an, um das Erlebnis Leichtathletik im Allgemeinen und Laufsport im Besonderen auf eine neue Ebene zu hieven. Superzeitlupen betonten die Ästhetik sportlicher Bewegung und untermalten Emotionen, die den Sport ausmachen. Stefan Kuerten, Geschäftsführer der European Broadcasting Union (EBU), geriet auch angesichts der Reichweite der Übertragungen von der Multisport-EM ins Schwärmen. In Deutschland und Norwegen erzielte die Berichterstattung eine bis zu 80%ige Reichweite.
Die Berichterstattung im deutschen Fernsehen hatte nur eine gewaltige Delle. Weder ARD noch ZDF übertrugen die EM-Marathons am Sonntagvormittag, für eine Heim-EM in der eigenen Hauptstadt eigentlich ein kleiner Skandal. Immerhin ist der Marathon die mythische Disziplin der Olympischen Kernsportart und die touristische Werbefläche des Austragungsortes bei derartigen Großereignissen. Umso besser für den ORF, der den Leichtathletik-Saison-Höhepunkt in voller Länge mit Bild aus Berlin und Kommentar aus Wien dem österreichischen TV-Zuschauer näher brachte und den Sensationserfolg im Marathon live ausstrahlte. Und auch die tollen Leistungen der Deutschen Fabienne Amrhein und Tom Gröschel, die jeweils Elfte wurden, nicht verpasste.
Nicht alles Gold, was glänzt
Trotz der überwiegend positiven Eindrücke und der berechtigten Komplimente für eine herausragende Arbeit des Organisationsteams lief nicht alles wie am Schnürchen. Besonderes peinlich waren im digitalen Zeitalter die Probleme mit dem technischen Messsystem der Weiten beim Weitsprung. Dafür gelang die Zwischenzeitmessung bei den Laufevents hervorragend, wo in nicht allen, aber vielen Disziplinen Zwischenzeiten alle 100 Meter aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer abgenommen wurden.
Einige kritische Gedanken hat auch der Zeitplan verdient. Zwar gelang es den Organisatoren in Berlin, knackige und damit Zuschauer-freundliche Evening Sessions zu organisieren und auch die Idee der Ausgliederung der Siegerehrungen in das öffentliche Leben der Metropole ist sehr gelungen. Auf der „Europäischen Meile“ tummelten sich an den sechs Tagen 150.000 Besucher! Der Zeitplan der Lauf-Events hinterließ aber einige Fragezeichen. Am Schlusstags fanden gleich drei Laufbewerbe der Frauen statt. Überhaupt war das Wochenende mit neun der zwölf Laufentscheidungen zugepflastert. Doppelstarts waren – mit Ausnahme der Ausnahme-Athleten aus dem Team-Ingebrigtsen – nur über die langen Distanzen möglich. Das schadet dem Laufsport, denn man halbierte die Teilnahme zahlreicher Stars (u.a. Mekhissi, Hassan, Muir, Grövdal, Lewandowski).
Dabei lebt die Leichtathletik auch davon, dass die Zuschauer die Stars öfters bewundern können. Kein Mensch wäre jemals auf die Idee gekommen, die 100m- und 200m-Sprints so eng zusammenlegen, dass ein Usain Bolt in Verlegenheit gekommen wäre, eine der beiden Disziplinen abzusagen. Warum dies bei Läuferinnen wie Laura Muir oder Sifan Hassan, zweifelsohne Top-Stars der europäischen Leichtathletik, nicht berücksichtigt wurde, ist eigenartig. Sie hätten für zwei Top-Duelle auf der Laufbahn sorgen können. Gegeneinander, nicht nacheinander in verschiedenen Wettkämpfen. Terminkollisionen der Laufstrecken sind bei Europameisterschaften in Olympischen Jahren verträglich, weil da der Fokus der Top-Stars ohnehin auf Olympia liegt. Heuer waren die Europameisterschaften aber das unumstößliche Highlight der europäischen Leichtathletik. Daher ist es sehr zu hinterfragen, ob sechs Wettkampftage mit teilweise sehr langen Mittagssessions für Europameisterschaften in Nicht-Olympischen Jahren ausreichen. Eine bessere Aufteilung der Laufevents ist allerdings auch mit sechs Wettkampftagen möglich.
Wann schlägt der Dopingschatten zu?
Keine Bilanz ohne das Thema Doping. So realistisch und weitsichtig muss man sein, aufgrund der Geschichte der Sportart ist es unvorstellbar, dass alle Leistungen in Berlin mit sauberen Mitteln erzielt worden sind – da hilft auch das Motto „I run (throw, jump) clean“ auf den Startnummern nicht. Mahnmal dafür ist die andauernde Abwesenheit des russischen Leichtathletik-Verbandes, nicht einmal 30 russische Sportler erhielten eine Ausnahmegenehmigung und damit ein Startrecht für die EM 2018. Vielleicht holt der Doping-Schatten die EM rasch ein: Gegen Meraf Bahta, Bronzemedaillengewinnerin im 10.000m-Lauf, wird in Schweden wegen drei verpasster Dopingtests ermittelt – dies kommt bei einem Urteilsspruch einer positiven Dopingprobe gleich.
Placing Table der Leichtathletik-EM 2018 (alle Top-8-Platzierungen berücksichtigend)
1. Großbritannien 212 Punkte
2. Deutschland 196,5 Punkte
3. Polen 172 Punkte
4. Frankreich 116 Punkte
5. Spanien 110 Punkte
6. Italien 87 Punkte
7. Ukraine 79,5 Punkte
8. Weißrussland 79 Punkte
9. Niederlande 77,5 Punkte
10. Schweiz 59 Punkte
…
19. Österreich 19 Punkte
Medaillenspiegel, nur Laufentscheidungen berücksichtigend (14 Entscheidungen)
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