„Gun Runner“ Julius Arile – von der Kriminalität zum Laufsport

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Von klein auf trug Julius Arile Lamerinyang eine Waffe bei sich. Gemeinsam mit seinen Genossen überfiel die Gruppe regelmäßig Dörfer im nordkenianischen Hochland, um das Vieh aus benachbarten Regionen zu stehlen. Damals war dies das einzige Leben, das der junge Kenianer kannte. Und es – so sagt er heute – als normal erachtete. Auch, dass er mitansehen musste, wie 20 seiner Freunde bei derartigen Unternehmungen erschossen wurden.

Aus der Kriminalität zum Leistungssport

Es sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um als Langstreckenläufer das internationale Terrain zu betreten. Doch Arile schaffte den Sprung und lief einige Rennen in Holland. 2011 absolvierte er sein Marathon-Debüt in Eindhoven. Zwei Jahre später war er sogar beim New York City Marathon am Start, dem größten Marathon-Rennen, das es gibt. Dort lief er seine persönliche Bestleistung von 2:10:03 Stunden und erzielte einen hervorragenden vierten Platz. In zehn Tagen gibt der 33-Jährige nach längerer Abwesenheit auf der internationalen Laufbühne sein Comeback und steht an der Startlinie des Toronto Marathon. Eine langwierige Knieverletzung ist auskuriert, nun will der Kenianer wieder angreifen und rechnet mit einer klaren Verbesserung seiner persönlichen Bestleistung in der kanadischen Metropole.

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Sportausrüstung statt Waffe

Doch wie kam es dazu, dass diese zwei Pole in der Lebensgeschichte des Julius Arile zusammengeführt wurden? Vor rund zehn Jahren startete die kenianische Regierung ein Programm und schenkte jungen Menschen, die ohne Perspektive als Viehdiebe ihr Unwesen trieben, ein paar Laufschuhe und Sportkleidung. Dafür mussten die jungen Menschen einzig ihre Waffen abgeben. Arile nutzte die Chance und ließ sich vom Laufsport begeistern. Sein bisheriges Leben gehört seit damals der Vergangenheit an.

Inspiriert von Tegla Loroupe

Der entscheidende Moment in seinem Leben, erzählt Arile heute, war jedoch ein Treffen mit der kenianischen Marathon-Legende Tegla Loroupe in Rahmen des 10km Peace Race im Westen Kenias, das sie organisiert. „Sie hat definitiv mein Leben verändert, so wie sie das Leben so vieler Kenianer verändert. Tegla hat mich inspiriert“, lobt Arile die sehr engagierte ehemalige Weltklasseläuferin, die unzählige junge Kenianer von der Straße holt und sich auch um bedürftige Flüchtlinge kümmert. Dank seines Fleißes, aber auch seines Talents kam Arile rasch in eine Trainingsgruppe um dem ehemaligen Weltrekordhalter Wilson Kipsang oder dem dreifachen Sieger des Amsterdam Marathon, Wilson Chebet. Der bekannte Manager Zane Branson organisierte seine Teilnahmen bei Veranstaltungen in Europa, der Sprung auf die internationale Laufbühne war geschafft.

Drei Ehefrauen

Der Tod Bransons 2015 traf Arile daher hart, er überlegte sogar, mit dem Laufen aufzuhören. Doch angesichts seiner Verpflichtung, seine Familie zu ernähren, war diese Option hoffnungslos und so machte Arile motiviert weiter. Wenn er an Wettkämpfen teilnimmt und sattes Preisgeld nach Hause mitbringt, kommt das gleich drei Ehefrauen und sieben Kindern zu Gute – nicht unüblich im Norden Kenias.

„Gun Runners“

Seine Lebensgeschichte erzählt nun die kanadische Dokumentarfilmemacherin Anjali Nayar. Uraufführung des Films „Gun Runners“ ist am 7. Oktober im Scotiabank Theatre von Toronto, neun Tage vor dem Toronto Marathon. „Es gibt ungefähr eine halbe Million illegaler Waffenbesitzer in Kenia. Wir sprechen hier also von einem großen gesellschaftlichen Problem. Es ist eine Sache, ein Rennen zu laufen. Aber es ist eine andere Sache, das Überleben zu sichern. Deshalb brauchen diese jungen Menschen eine langwierige Betreuung und Ausbildung. Sie in die Gesellschaft zu integrieren, ist ein schwieriger Prozess“, erzählt Nayar, die fast ein Jahrzehnt lang immer wieder in Kenia war, lange Zeit in Nairobi wohnte und eng mit Arile zusammenarbeitete, um diesen Film zu produzieren.