Am Freitag fällt eine der wichtigsten sportpolitischen Entscheidungen der Geschichte. Und das auf österreichischem Boden. Die Herren des Councils des Leichtathletik-Weltverbandes tagen in Wien und müssen ein Urteil fällen: Wiederaufnahme des russischen Leichtathletikverbandes ARAF oder Verlängerung der Suspendierung? Die Tragweite dieser Antwort ist gigantisch, denn wird sie vom IOC akzeptiert, ist sie verbindlich mit einem Olympia-Ausschluss einer der größten Sportnationen der Vergangenheit in der Olympischen Kernsportart Leichtathletik.
Auch wenn die Gefahr einer kompromissüberfüllten Zwischenlösung oder eventuell sogar eine Uneinigkeit zwischen IAAF und IOC droht, lässt die Logik nur zwei mögliche Entschlüsse zu: schwarz oder weiß. Denn es liegt an der IAAF, Farbe zu bekennen und ein klares Statement abzugeben. Egal, welche Entscheidung fällt – sie muss gut überlegt sein, will man sich von Folgen nicht überraschen lassen. Und sie muss zahlreiche bedeutende Fragen beantworten, die bereits jetzt im Raum herumschwirren. Prognosen sind aufgrund der Zurückhaltung der Ermittlungskommission der IAAF um den norwegischen Anti-Doping-Experten Rune Andersen, dessen Ergebnisse rechtzeitig präsentiert werden und das Zünglein an der Waage spielen könnten, schwierig. Aktuell deutet nichts darauf hin, dass der Reformprozess des Anti-Doping-Kampfs im größten Land der Erde berichtenswerte Fortschritte in die erwünschte Richtung genommen hat. Störfeuer und Anschuldigungen, aber vor allem aufgedeckte Dopingfälle bei vergangenen Olympischen Spielen verfinstern aktuell möglicherweise den Blick die russische Lage zusätzlich.
Variante 1: Der russische Verband bleibt suspendiert und russische Leichtathleten verpassen die Olympischen Spiele 2016.
Variante 2: Russland wird rehabilitiert und nimmt an den Leichtathletik-Wettbewerben in Rio teil.
 
 
ENTWEDER eine mutige Entscheidung, mit der die IAAF gemeinsam mit dem IOC einer der mächtigsten Sportnationen der Welt die Stirn bietet und erstmals in der Geschichte das Kollektiv für ein Dopingsystem abstraft. Mit den schmerzhaftesten Konsequenzen, die möglich scheinen, denn eine Olympia-Teilnahme ist aufgrund des Prestiges und der wirtschaftliche Bedeutung unerlässlich. ODER die Kapitulation des internationalen Sports vor den Mächten aus Wirtschaft und Politik, die ein Fehlen der russischen Leichtathletik bei den Olympischen Spielen nicht akzeptieren und im schlimmsten Falle, eine Weiterführung intransparenter Spielchen in den Beziehungen zwischen der IAAF und Russland.
ENTWEDER eine konsequente Entscheidung, die aufgrund der Verfehlungen Russlands durch systematisches Doping weit über die Leichtathletik hinaus legitimierbar wäre und die ein richtungsweisendes Mahnmal für dopende Sportler und Systeme der Zukunft darstellt. ODER ein kapitaler Rückzieher, der eine deftige Niederlage für den Anti-Doping-Kampf und wichtige Werte des Sports wie Chancengleichheit, Fairness und Gerechtigkeit wäre und ein falsches Signal für die Zukunft aussenden könnte.
ENTWEDER eine radikale Entscheidung, die nicht nur den russischen Sport trifft, sondern auch auf alle weiteren Nationen ausgeweitet wird, die die aktuellen Anforderungen der WADA im Anti-Doping-Kampf nicht zur Gänze erfüllen. ODER eine weitsichtige Entscheidung, weil trotz der aufgedeckten, dunklen Vergangenheit Doping kein exklusiv russisches Problem darstellt, sondern ein globales und man deswegen nicht ein einzelnes Land bestrafen möchte.
ENTWEDER eine harte Entscheidung, weil möglicherweise auch saubere und unschuldige Athleten vom Olympia-Ausschluss betroffen sein könnten und andererseits keine Garantie herrscht, dass alle nicht-russischen Olympiastarter in der Leichtathletik ungedopt nach Rio reisen. ODER eine milde Entscheidung, mit der Russland nach einer mehrmonatigen Suspendierung und den Ausschluss von den Hallen-Weltmeisterschaften zurück ins Boot geholt würde.
ENTWEDER eine kompromisslose Entscheidung, mit der sich der internationale Sport mit einer politisch und wirtschaftlich mächtigen Nation anlegt, die einen Ost-West-Konflikt heraufbeschwören könnte, der thematisch und inhaltlich weit über den Sport hinaus gehen und eine mächtige gesellschaftspolitische Unruhe zur Folge haben könnte, die der internationale Sport auch nicht braucht. ODER ein Eingeständnis an Russland, über einen Sonderstatus zu verfügen, der ein schlechtes Vorbild für andere Nationen sein könnte, die keinen derartigen Sonderstatus fühlen.
ENTWEDER eine scheinheilige Entscheidung, weil nach dieser Vorgeschichte ohnehin keinem russischen Athleten bei den Olympischen Spielen getraut werden würde. ODER eine zielgerichtete Begnadigung, um Russland eine Bühne zur Demonstration für den neuen russischen Kampf gegen Doping zu bieten.
ENTWEDER eine von westlichen Ländern offenkundig geforderte Entscheidung. ODER eine gegenteilige Auslegung, weil der Reformprozess in Russland entgegen der medialen Darstellung in unseren Breiten maßgeblich vorangeschritten ist, weil Russland im letzten Moment im Wettlauf gegen die Zeit den Druck der weitreichenden Folgen gespürt hat.
ENTWEDER eine riskante Entscheidung, die den Zorn einer ganzen Sportnation hervorrufen könnte, weil die IAAF den Druck der restlichen Sportwelt nicht standhalten konnte. ODER eine riskante Entscheidung, der den Zorn anderer Sportnationen hervorrufen könnte, weil die IAAF den Druck aus Russland nicht standhalten konnte.
 
Die Wahrheit und die ausschlaggebenden Gründe liegen irgendwo zwischen diesen Polen.

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